Nach dem Binge-Eating – Gefühle und neue Mutschöpfung

Ich bin sicherlich nicht der einzige Mensch auf der Welt, der nach einem Fressanfall von gemischten Gefühlen überwältigt ist. Es fühlt sich nicht an wie das „Fresskoma“ nach einer großen Pizza, nein, das Gefühl geht tiefer. Unter die Haut und noch tiefer. Bis hin zum letzten Winkel meiner Seele, dringt der Schmerz  schneidend ein.

Nach einiger Zeit ist das Gefühl danach so vertraut und schmerzvoll zugleich. Wie ein unangekündigter Besucher, den man nicht leiden kann, aber ständig wieder kommt.

Zu dem Wohlbefinden meines Körpers: Ich bin voll. Ich bin so unglaublich voll, dass ich denke, mein Magen könnte platzen. Und es geht mir hundeelend. Es beginnt meistens mit eigenen Vorwürfen, weil ich wütend auf mich selbst bin und diese Wut nicht kontrollieren kann. Anschließend fließen die ein oder anderen Tränen,wegen starker Bauchschmerzen, Scham und/oder Selbsthass. Als  Versagerin abgestempelt versuche ich mich abzulenken und das Gefühl loszuwerden, in dem ich mir einrede, nie wieder so radikal viel zu essen. Irgendwann bin ich so traurig und von Selbstmitleid zerfressen, dass ich wahrhaft glaube nie mehr aus diesem Loch herauszukommen. Ich zweifle daran, ob ich jemals  gesund werde oder für immer ein verrückter Freak bleibe…

Wenn ich mich übergebe, werden die Bauchschmerzen zwar etwas weniger, das Schamgefühl jedoch stärker. Ich putze wie eine Irre das Bad, vernichte alle Beweise und lege mich ins Bett. Nicht jedoch, ohne  Zahnschmerzen und ein Zittern in den Fingern, weil das K***** mir sämtliche Energie aus dem Körper reißt.

Am nächsten Tag ist das Gefühl meistens wieder weg.

Ich trete unter Menschen und keiner weiß, wie elend ich mich am Tag davor gefühlt habe. Es ist, als wäre es niemals geschehen…Bis es wieder losgeht. Ein grausamer Teufelskreis, aus dem es sehr schwer ist, wieder raus zu kommen. Aber es ist trotzdem möglich!

Wie ihr seht bin ich sehr offen und ehrlich. Muss ich mich dafür schämen? Nein. 1. Weil es vielen anderen ebenfalls so geht, 2. weil eine Essstörung nicht aus dem nichts kommt.

Dahinter stecken immer ernstzunehmende Gründe, die nichts mit fehlender Selbstdisziplin gemein haben.

Und damit wir uns nicht falsch verstehen: ich finde es nicht schlimm, wenn man etwas mehr, als eine übliche Portion isst. Sei es ein drittes Stück Kuchen oder eine ganze Tüte Chips beim Fernsehen. Solange man es nicht bereut und genießt, kann es sicherlich nur richtig sein. Das Problem beginnt aber, sobald ein ungesundes Verhalten auftritt und man nicht aus Lust und Hunger isst, sondern aus anderen Gründen – seelischen. Ursachen für einen Essanfall können sich wie Backsteine aufeinander reihen und eine ganze Wand bilden.

Es braucht viel Mühe und Arbeit, um herauszukommen. Man darf sich nicht von dem traurigen Gefühl einnehmen lassen, und sich selbst als Versager oder Versagerin abstempeln. Ebenso ist man kein undiszipliniertes „Fressmonster“, dass niemals einen Ausweg finden wird.

Es gibt einen Ausweg!

Und es ist möglich aus dem Teufelskreis herauszubrechen! Sich bewusst werden, dass es einen anderen Weg gibt, ist die erste Lektion. Wenn ihr den Lebeswillen habt und fest davon überzeugt zu sein, dass ihr wieder gesund werdet, dann kann euch das keiner nehmen! ♥

 

 

 

 

Titelbild gefunden auf http://www.pexels.com

 

 

7 Kommentare zu „Nach dem Binge-Eating – Gefühle und neue Mutschöpfung

  1. Hallo Mia,
    ein sehr authentischer Artikel. Essstörungen haben eine unbändige Macht, das spüre ich als Leserin in deinen Zeilen. Mal ganz davon abgesehen, dass auch ich eine sehr lange Zeit der Essstörung (gewollt und ungewollt) ausgeliefert war.
    Wie du bereits schreibst, es gibt ein Leben danach, auch wenn oftmals die eigene Vorstellungskraft nicht ausreicht, um es wahrhaftig zu glauben. Es ist noch gar nicht sol lange her, als für mich ein Alltag ohne diese Sucht undenkbar gewesen wäre. Die Sucht war für mich Fluch und Segen zugleich.
    Der eigene Wille muss vorhanden sein, aber allein das reicht nicht aus. Mut, Kraft und Durchhaltevermögen sind ebenfalls notwendig, wie die Motivation der Essstörung regelmäßig den Stinkefinger zu zeigen. Schließlich sind wir jeden Tag auf die Droge angewiesen, die uns am Leben (er)hält.
    In dem du offen über deine Empfindungen schreibst und dich dem Umfeld öffnest, hilfst du dabei aufzuzeigen, dass Essstörungen mehr Beachtung in unserer heutigen Gesellschaft benötigen. Danke dafür … 🙂
    Viele Grüße
    Michaela

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    1. Hallo Michaela, es freut mich sehr, dass du eine so rationale Sicht auf dieses Thema hast. Es ist win beruhigender Gedanke, dass es noch weitere gibt, die ebenfalls die Willensstärke, den Mut und die Kraft besitzen und aus der Sicht der „Heilung“ wissen, dass eine Essstörung nichts mit Kontrollosigkeit zu tun hat! Ich wünsche dir noch weiterhin viel Erfolg auf deinem Weg und bin froh darüber, dass sich noch andere öffnen können, weil es so viele gibt, denen es ähnlich geht und diese sich nicht trauen, darüber zu reden.

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      1. Du hast recht. Essstörungen sind mit Kontrollverlust gekennzeichnet, aber dafür können die Betroffenen nichts, denn Essstörungen haben nun mal Suchtcharakter. Sucht und Kontrollverlust sind eins. Aber es darf von „Themenfremden“ nicht als Hirngespinst oder bescheuertes Verhaltensmuster abgetan werden. Und damit sie ein gewisses Bewusstsein für die Gefährlichkeit einer Essstörung erreichen, müssen wir – die Betroffenen und stabilen Essgestörten – darüber berichten. Ein Mediziner oder eine pädagogische Fachkraft kann etwas nacherzählen (Lehrbuchwissen), aber die Authentizität fehlt. Es wirkt von oben herab. Damit sich das Umfeld nachhaltig Gedanken macht, bestenfalls ein Umdenken stattfindet, muss es auf der Gefühlsebene gepackt werden. Mit dem/unserem Vorteil können wir viel erreichen. Auf beiden Seite. 🙂 Das erlebe ich mit meiner Arbeit immer und immer wieder.
        Wenn ich deinen Blog unterstützen kann, lass es mich bitte wissen. 🙂
        Viele Grüße
        Michaela

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      2. Das stimmt, eine Essstörung kann jeden treffen und so schnell wie eine Erkältung auftreten. Die Heilung dauert leider länger als eine Grippe und daher ist es mir wichtig das Ganze nicht als „Phase“ anzusehen, sondern beachtet zu werden!
        Vielen lieben Dank für dein Angebot! Momentan geht es mir lediglich darum, den über Jahre schweren Ballast von der Seele zu schreiben und vielleicht sogar ein paar Menschen damit zu erreichen. Viele Grüße!!

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    1. Alleine bist du definitiv nicht! Ich versuche immer wieder zu zeigen, dass es nichts ist, wofür man sich schämen sollte. Wichtig ist, dass du nicht aufgibst und fest davon überzeugt bist, endlich da raus zu kommen! Die Phasen hatte ich auch ständig, aber letztendlich war die bulimische Phase für meinen Körper belastender. Ich habe mir immer kleine Ziele gesetzt und dafür das Bingen auch mal zugelassen! Ich wünsche dir weiterhin alles Gute! ❤️

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