Die Spanne zwischen der Sättigung und dem Völlegefühl

Ich erinnere mich dunkel an die Zeit, in der meine Eltern sich sorgten, weil ich als Kind viel zu wenig aß. Ich wurde von Arzt zu Arzt geschleppt, weil ich bis zur vierten Klasse untergewichtig war. Jeder Arzt wiederholte, dass ich völlig gesund war und Kinder meist wussten, wann sie satt waren. „Ich kann nicht mehr“ war beim Essen mein häufigster Spruch. Heute ist das leider anders.

Kein Sättigungsgefühl

Das Problem vieler Menschen mit einer Essstörung ist, dass sie nach einer Weile das Sättigungsgefühl verlieren. Angesprochen sind überwiegend die Essanfallstörung (Binge-Eating) und Bulimie. Denn ohne das Gefühl gibt es kein Ende. Das Essen nimmt seinen Lauf und endet meist, wenn der Bauch randvoll ist.

Aber um fair zu bleiben passiert es so einigen Menschen, dass sie das Essen nicht gleich beenden, nur weil sie satt sind. Und ich kann aus meinen Beobachtungen behaupten, dass das nicht nur denjenigen widerfährt, die an einer Essstörung leiden. Dafür ist dieses Phänomen in der westlichen Welt zu ausgeprägt. Zum Beispiel essen sie weiter, wenn der Teller noch voll ist. Oder aber sie verköstigen sich mit einen Nachtisch aus reinem Appetit. Ich sehe sie kämpfen, sehe, wie sie den Burger fleißig aufessen, weil sie schließlich Geld dafür bezahlt haben. Und eigentlich ist nichts schlimmes dabei.

Der einzige, den ich kenne, der das Essgefühl wirklich regulieren kann, ist mein Freund. Egal, wie viel auf dem Teller ist, sobald er nicht mehr kann, hört er auf. Das führt dazu, dass er viel öfter am Tag ist, aber dafür kleine Portionen zu sich nimmt. Ich habe es oft versucht nachzumachen, hatte nach dem Essen jedoch meist das Gefühl, dass etwas fehlte.

Der Hunger war weg, aber war ich wirklich satt?

Nein. Ich wollte mehr. Ich wollte voll sein. Das Gefühl spüren, nicht mehr essen zu können. Für die Heilung einer Essstörung ist das „satt werden“ ein gravierender Aspekt.  Aufzuhören, wenn man kann, nicht wenn man wie eine Gans gestopft ist. Der Prozess ist natürlich alles andere als leicht. Denn wenn etwas gut schmeckt, will man es natürlich aufessen. Ich las einst im Internet, dass es eine gute Übung wäre, immer nur die Hälfte auf dem Teller zu essen. Bei mir ist dieses Experiment leider gescheitert, aber vielleicht seit ihr ja erfolgreicher.

Hilfe?

Im Grunde ist alles leichter gesagt als getan. Das Sättigungsgefühl entsteht nicht wieder, nur weil man es sich ganz fest wünscht. Eine psychische Krankheit ist nun mal unheimlich strapaziös für den Körper und Geist. Ich teile hier meine Empfehlungen mit euch, die mir von Zeit zu Zeit helfen.

Essen in der Öffentlichkeit

Mir hilft am meisten, wenn ich außerhalb meiner vier Wände esse und eine Portion auf den Teller bekomme. Ich esse viel in der Uni und nehme mir anschließend nicht nach. Ähnlich ist es bei Restaurantbesuchen, aber das lässt sich natürlich irgendwann am Konto sehen.

Kleine Portionen beim Essen.

Außerdem habe ich es mir angewöhnt, kleinere Portionen zuzubereiten, kurz zu warten und gegebenenfalls nochmal nachzunehmen.

Nach dem Essen etwas planen.

FA treten bei mir selten morgens oder Mittags auf, da ich meist nach dem Frühstück los muss oder irgendwas zu erledigen habe. Ich versuche nun nach dem Essen mit jemanden zu telefonieren oder mir eine andere Beschäftigung zu suchen. Meist tritt das Sättigungsgefühl nach einer Weile ein.

Falls ihr noch weitere Vorschläge habt, dann bin ich sehr dankbar dafür. Ansonsten hoffe ich, dass ich halbwegs erläutern konnte, wie wichtig es ist, ein gesundes Essgefühl zu entwickeln und eine Grenze zwischen Sättigung und Völle zu ziehen.

Euch einen schönen hoffentlich weniger stürmischen Freitag! ♥

17 Kommentare zu „Die Spanne zwischen der Sättigung und dem Völlegefühl

  1. Ich habe gewiss nicht den Schlüssel zur Wahrheit… Aber als ehemalige Bulimikerin möchte ich eine Geschichte mit dir teilen: Als mich meine erste Therapeutin gefragt hat, was meine Lieblingsspeise sei, war ich erst mal sprachlos. Ich hatte keine, weil ich es mir nicht erlauben konnte. Sicher wusste ich, was ich am liebsten verschlang – aber war das meine Lieblingsspeise? Es dauerte, bis ich mir eingestehen konnte, dass es Essen geben darf, das ich schlichtweg mag.

    Und das mit den kleineren Portionen und sich dann eventuell nachnehmen, das übe ich noch heute 😉

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    1. Oh, das ist eine wirklich interessante Geschichte. Sie verdeutlich damit sehr gut, wie der Wert des Essens und sein Genuss dabei verschwinden. Ich habe war schon Dinge, die ich gerne dass, aber ohne den einstigen Genuss!

      Und das nachnehmen von essen ist ja nicht primär etwas schlimmes 🙂

      Liebe Grüße!

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  2. Ich finde es auch viel einfacher wenn ich außerhalb meiner vier Wände bin. Hier spüre ich ziemlich bald ein Sättigungsgefühl, zuhause ist es wirklich Glück. Habe mir angewöhnt nichts mehr nachzuholen, aber etwas übrig lassen auf dem Teller geht nicht.

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    1. Vielleicht sollten wir uns einfach noch etwas Zeit geben:) in ein paar Monaten sieht es vielleicht schon viel besser aus. Und das eigene Heim ist deshalb so „gefährlich“ weil man dort zwanglos tun kann, was man will..
      Ganz liebe Grüße!!

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      1. Vielleicht vor allem zwanglos fühlen? 🤔
        Bei mir spielt das zumindest eine große Rolle, dass in der Ruhe auch die Emotionen hochkommen und die schieben mich dann direkt weiter Richtung Kühlschrank… 😊

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      2. Hmm… ich esse meistens nicht in der Situation die wirklich stressig ist, sondern danach. Wahrscheinlich bräuchte man insgesamt ein gutes Mittelmaß zwischen Entspannung und Anspannung. Dann ließen sich Zeiten mit Stress besser Regeln. Aber wie man das hinbekommt…🤷‍♀️
        Liebe Grüße zurück! 😊

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  3. Ich finde es wirklich sehr interessant, dass es mir nicht als einzige so geht. Ich fühle mich auch nur wohl, wenn ich das Gefühl habe voll zu sein. Wenn ich aber zb. Zwischendurch keine Zeit habe, verspüre ich zumindest keinen Hunger mehr. Andererseits lasse ich mich dann bei keinem Hunger aber Lust auf was zu Snacks etc. Verleiten 🙈
    Ich wiege mir meine Nudeln zb. ab. Nehme kleinere Schälchen aus dennen ich dann ruhig nach nehmen kann. Denn eine Schale enthält ca die Hälfte eines Tellers. So nehme ich statt zwei Tellern nur zwei Schälchen. Ich brauche einfach einen Nachschlag und es funktioniert ^_^
    Lg und schönen Abend noch.

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    1. Das mit dem wiegen habe ich eine Zeit lang auch gemacht 🙂 aber leider hat mich das u.a weiter in die essstöring getrieben – weil essen nur noch „Mittel“ für den Körperbau und nicht mehr Genuss war. Ich sehe aber, dass es bei anderen oft funktioniert und das ist super:)
      Schönes Wochenende!!

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  4. Mein Vorschlag ist: Versuchen, bewusst langsam(er) zu essen. (Ich weiß, das ist im heutigen Alltag oft überhaupt nicht leicht.) –

    Wer sehr schnell isst, „verpasst“ meist das Sättzigungsgefühl – im Nachgabg stellt sich dann ein richtiges und oft übermäßiges Völlegefühl ein.

    Beim langsameren Essen, setzt das Sättigungsgefühl zum Ende der Mahlzeit hin schon beim Essen selbst ein und kommt dann nicht erst Minuten danach, aber so richtig heftig. Das ist ein Vorteil, weil man dann leichter aufhören kann. – Abgesehen davon, kann, in solcher Weise zu essen, dazu beitragen, nach und nach mehr Genuss beim und am Essen zu entwickeln.

    Vielleicht ist dieser Tipp ja ein bisschen hilfreich …

    Viele liebste Grüße, Mia!

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  5. Versuch mal normales Essen mit einer kleinen Gabel zu essen, kann auch eine Kuchengabel sein. Das mache ich oft. Ich merke aber sofort wenn ich nichts mehr will dann höre ich sofort auf, egal was noch auf dem Teller ist.

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    1. Danke für deinen lieben Tipp. 🙂 Ich esse meist auch mit einem kleinen Löffel, aber leider entscheidet bei einer Essstörung nicht das Körpergefühl. Die wenigsten können mit meiner Diagnise einfach so aufhören und lassen sich stattdessen von einem Zwang leiten. Der innere Hunger spricht dann aus mir und braucht etwas, um ihn zu sättigen. Es ist sehr schwer aus diesem Teufelskreis zu entkommen und das natürliche Sättigungsgefühl wieder zu erlangen.

      Liebe Grüße!

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