Meine Cousine hat eine Essstörung

Ich habe meine Cousine seit 7 Jahren nicht gesehen. Wir sind gleich alt, leben in unterschiedlichen Kontinenten und bekommen uns selten zu Gesicht. Sie hat sich äußerlich stark verändert. Ihre erste Frage an mich war, ob man ihr stark ansah, dass sie zugenommen hatte. Das fragte sie im Übrigen jeden. Wir alle waren unehrlich und antworteten mit nein.

Natürlich ist es eine große Unterstellung, einer etwas übergewichtigen Person zu unterstellen, dass sie eine Essstörung hat! So etwas würde ich niemals tun. Mein Cousin ist auch sehr korpulent geworden und bei ihm habe ich keine Sorge, dass er ein ungesundes Essverhalten aufweist.

Aber innerhalb weniger Tage erkannte ich ein paar Anzeichen.

Depression.

Meiner Cousine geht es sehr schlecht. Sie arbeitet trotz ihres abgeschlossenen Wirtschaftsstudiums in einem Kindergarten, weil sie nach zwei Jahren Suche nichts gefunden hat.

Auch hat sie als einzige Tochter im Haus weniger Rechte als die zwei Söhne. Sie wird nicht anständig behandelt. Sie trägt viel Ballast in sich. Es fällt ihr immer schwerer, Freude zu empfinden geschweige denn zuzulassen. Sie kann ihre gelernten Qualifikationen nicht unter Beweis stellen und isst viel.

Sie isst aus Frust.

Das hat sie selbst gesagt. Das Essen hilft ihr. Sie isst nicht mehr primär aus Hunger, sondern aus emotionalen Gründen. Als wir gestern unterwegs waren, aß sie sehr, sehr viele Süßigkeiten und klagte trotzdem über Hunger. Sie aß zuerst draußen und dann zu Hause zu Abend. Abends naschte sie wieder. Diese Portionen kamen mir bekannt vor.

Ich als Essgestörte empfinde ihr Essverhalten als sehr ungesund. Sie weiß es auch, aber sie rechtfertigt alles mit ihrem Frust. Ständig kommt das Thema auf, dass sie wie eine „dicke Kuh“ aussieht und unbedingt abnehmen will. Sie ist nicht nur unglücklich, sie findet sich hässlich.

Wie kann ich zu ihr durchdringen?

In dem Land, in dem Essstörungen keine Krankheiten sind, ist es schwer mit ihr über dieses Thema zu reden. Es ist ja selbst in „unserer Welt“ nicht einfach mit der Kommunikation von Essstörungen.

Sie würde mir den Vogel zeigen, wenn ich ihr sagte, dass sie – egal welche Konfektionsgröße sie trägt – nach wie vor wunderschön aussieht. Ich fühle mich sehr unbeholfen und das frustriert mich. Es tut mir weh, dass sie leidet. Es tut mir weh, dass sie weder weiß, dass sie in eine Depression noch in eine Essstörung rutscht.

Ich glaube, dass das Hauptproblem ihre Situation zu Hause ist. Ich kann das sehr nachfühlen, weil es bei mir genauso war. Leider kann sie nicht einfach mal eben „ausziehen“, weil sich das in der Kultur aus der wir beide stammen, einfach nicht gehört.

Habt ihr irgendwelche weiteren Tipps? Das Thema rund um Prävention geht mir sehr nahe und ich fühle mich regelrecht verpflichtet, etwas zu tun!

Habt einen schönen Start in die Woche! ♥

 

 

 

 

 

 

 

 

11 Kommentare zu „Meine Cousine hat eine Essstörung

  1. Es ist sehr schwer, da Tipps zu geben 😦 Ich hatte auch mal eine Phase, in der ich aus Frust alles in mich reingestopft habe und trotzdem immer hungrig war (da war ich 19). Meine Lebensumstände waren sehr schlecht, ich war ja früh bei meinen Eltern ausgezogen, kam aber vom Regen in die Traufe… Essen war meine einzige Freude, sonst hätte ich nicht überleben können, irgendwie musste ich den Frust kompensieren. Ich kam ganz alleine da heraus, als ich mich nicht mehr sehen konnte, so fett wie ich war. Allerdings landete ich dann wieder im anderen Extrem, es ist ein Teufelskreis.

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    1. Ja das stimmt. Aber leider schaffen es die wenigsten alleine da raus….Essen darf keine Lösung sein, denn es ist ebenfalls eine Droge – leider! Es scheint bei ihr so als hätte sie aufgegeben und das macht mich traurig…

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  2. Krass! Das erste, was ich gedacht habe, war gerade, dass du vielleicht doch aus einem bestimmten Grund dort bist. Nicht, dass du sie retten könntest… aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ihr gegenseitig etwas voneinander lernen könnt. Dafür musst du aber auf jeden Fall das Gespräch mit ihr suchen. Ihr würde ihr nicht direkt sagen, dass sie psychisch krank sein könnte. Vielleicht eher darauf hinweisen, dass ihr Essen emotional ist.. zum Beispiel in einem geeigneten Moment fragen, was ihr denn EIGENTLICH fehlt. Ich denke, sie muss irgendwie selbst die Verbindung zwischen Emotionen und dem Essen hinbekommen. Junge Leute sind, was psychische Krankheiten angeht, bestimmt auch offener als ältere Leute dort. Aber insgesamt auch wirklich sehr interessant, dass es in deiner Familie noch mehr Leute zu geben scheint, die mit dem Essen ein „Problem“ haben. Ich frage mich ja immer, was für eine Rolle die Genetik spielt..

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    1. Du meinst wie eine Art schicksalshafte Fügung? Vielleicht 🙂 Ich habe es bereits versucht, aber sie blockt leider immer ab. Sie nimmt es als Kritik auf, wenn man sie auf ihr Gewicht oder Essverhalten anspricht. Aber ich habe ja noch ein paar Wochen. Ich kann ja vorsivhtig versuchen, sie in die Thematik einzuführen. Vielleicht muss ich mich selbst „outen“…Mal schauen!

      Danke für deinen wieder sehr lieben und ermutigenden Kommentar! ❤

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      1. Ja genau… Aber das ist einfach nur meine Art zu denken, hihi. 🙂 Schade, dass sie so abblockt! Die Situation ist wirklich schwierig. Vielleicht würde das wirklich helfen. Oder sie blockt nur noch mehr ab? Ich kann es nicht einschätzen. Ich wünsche dir noch eine schöne Zeit – mach das beste draus! 🙂

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  3. Ganz so leicht ist es leider nicht! Wenn mich in meinen schlimmsten Zeiten jemand gefragt hätte, was mir eigentlich fehlt, hätte ich wahrscheinlich gelacht und gesagt, ich hätte einfach nur Hunger. Nie hätte ich zugegeben, dass ich ein Problem habe! Ich wusste auch genau, was mir fehlt, sah aber keinen Ausweg aus meiner Situation, mir hätte auch niemand helfen können – höchstens ein Lottogewinn…

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    1. Ja, wir verstehen uns gut, und ich glaube auch, dass sie es selbst weiß. Nur leider habe ich das Gefühl, dass ich gegen eine Wand laufe, wenn ich mit ihr rede. Für sie ist Essen scheinbar die bessere Alternative als Alkohol oder Drogen…Die Situation ist sehr komplex :/

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  4. Liebe Mia,
    vielleicht hilft es in diesem Fall sich von hinten anzuschleichen. Ich meine damit, ihr von Essstörungen zu erzählen, ohne sie persönlich damit zu attackieren. Es gibt bestimmt Möglichkeiten, in denen du von deiner Präventionsleistung erzählen kannst oder dass du kürzlich was interessantes gelesen hast und ihr unbefangen davon erzählst. Ohne jegliche Anspielung und natürlich ohne Vorwürfe zu machen, was du selbst ja am besten weisst. 🌻
    Vielleicht erkennt deine Cousine Parallelen und ihr Gespür wird geweckt, mehr darüber wissen zu wollen. Hilfe heisst nicht, sie davor zu schützen oder ihr ihre Schwierigkeiten unter die Nase zu reiben. Sondern m.E. heisst das, sie liebevoll in eine Richtung zu lenken, selbst aktiv zu werden. Oftmals beschäftigen uns locker daher gesagte Worte mehr, als direkte Ansprachen. Die Ernsthaftigkeit liegt auf der Hand, aber nur für dich, weil du Expertin auf diesem Gebiet bist und du es dir selbst eingestanden hast.
    Ein sanfter Schups kann Wunder bewirken. Alles braucht seine Zeit und vor allem die richtigen Menschen um sich herum.
    Ich wünsche dir die richtigen Worte zur richtigen Zeit. 🌻
    Sei stolz auf dich. Du zeigst immer wieder große Stärke und auch Mut. 😍
    Liebe Grüße
    Michaela

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    1. Danke, liebe Michaela – für deine mitfühlenden Worte und deine hilfreichen Tipps! Ich werde vorsichtig versuchen mit ihr über das Thema ES zu reden, und hoffe, dass sie mir nicht auf die Schliche kommen wird. Das Schlimmste wäre, wenn sie verletzt über meine Unterstellungen wäre. Aber irgendwas tun muss ich schließlich.

      Ganz liebe Grüße!!

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