Angst davor verurteilt zu werden – Die Therapie als Geheimnis

Therapien sind ein besonderes Privileg. In diesem Land werden viele von ihnen bezahlt und können für die Heilung einer psychischen Erkrankung unsagbar fördernd sein. Dennoch werden sie oft wie ein Geheimnis gehütet, über das nicht in der Öffentlichkeit gesprochen wird.

Ich war über ein Jahr in Therapie. Außer mir wissen bloß meine Familie, mein Freund und noch zwei, drei andere meiner liebsten Menschen davon. In den letzten Tagen stellte ich mir oft die Frage, wie vielen von euch es ähnlich erging. Gestern startete ich auf Instagram einen Aufruf und fragte die Community, ob sie Therapien geheim hielten oder nicht.

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Das Ergebnis war 50/50. Prinzipiell freut es mich, dass die Hälfte eine Therapie öffentlich thematisieren (ich hatte ehrlich gesagt weniger geschätzt). Was mich jedoch schockierte, war, dass von den „Geheimhaltern“ 92%  aus Angst vor einer Verurteilung den Mund hielten.

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Warum haben wir Angst davor ehrlich zu sein?

Das Spektrum der Angst ist groß und individuell.Vielleicht fürchten wir uns davor stigmatisiert und verurteilt zu werden, vielleicht haben wir Angst jemanden zu enttäuschen. Vielleicht schämen wir uns auch nur, obwohl wir das nicht müssen.

Es ist nicht unsere Schuld, dass wir nicht ehrlich sein können.

Manchmal frage ich mich, ob Menschen aus meinem Umfeld vielleicht ähnliches durchmachen wie ich, aber wir uns nicht trauen ehrlich zu sein. Manchmal ärgere ich mich darüber, dass ich stets über mich und den anderen Teil in mir schweige. Reden meine Mitmenschen über Essstörungen, psychischen Krankheiten und Therapien, nicke ich interessiert und bewahre den Schein, um mich nicht zu verraten. Aber nach fast fünf Jahren habe ich noch immer nicht den Punkt erreicht, ehrlich zu meinen Mitmenschen zu sein. Das Risiko, dass sie mich in eine Schublade stecken, ist mir zu groß. Ich weiß, dass ich mich nicht schämen muss, aber ich gebe leider zu, dass es mir noch nicht egal ist, was andere von mir denken.

Also stresse ich mich nicht.

Ich kann nichts dafür, dass psychische Krankheiten noch immer derart stigmatisiert werden und Menschen wie mir nicht der Raum geboten wird, ehrlich zu der Welt zu sein. Es ist schade, dass eine tolle Chance wie eine Therapie oftmals vor FreundInnen, KolegInnen und Familienmitgliedern geheim gehalten wird, aber so ist es nun mal. Die Welt wird sich nicht von heute auf morgen ändern. Aber ich denke trotzdem, dass sie sich in die richtige Richtung dreht (Metapher unbeabsichtigt).

Dennoch muss ich die Worte aus den Tiefen meines Herzens förmlich herausschreien!

Ihr müsst euch nicht dafür schämen, dass ihr krank seid!

Ihr müsst euch nicht dafür schämen, dass andere Menschen nicht reflektiert genug sind!

Ihr müsst euch nicht dafür schämen, dass ihr euch Hilfe gesucht habt!

Schämt euch nicht dafür, dass ihr so seid, wie ihr seid! ♥

 

 

 

13 Kommentare zu „Angst davor verurteilt zu werden – Die Therapie als Geheimnis

  1. Guter Beitrag. Ich hatte Depressionen und habe das offen thematisiert. Ich bin gut damit gefahren, man hat es mir eh angemerkt und mein Umfeld war froh, dass ich etwas unternehme.

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  2. Hab das ähnlich gehalten wie wechselweib, nur bei einigen Menschen deren ich sicher war, dass sie nicht in der Lage sind, Depression als Krankheit zu begreifen (weil wirklich einfach nur dumm) habe ich das nicht Thematisiert.
    LG
    Ps. Geheimhaltung hat noch nie zu Akzeptanz geführt. Outen zumindest manchmal.

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  3. Nach meinem seinerzeitigen Zusammenbruch ist meine Krankheit zwangsläufig nach und nach einem bestimmten Kollegenkreis bekannt geworden.

    Nur wenige wussten in der Folge ein paar mehr Details, ich habe mich immer schwer getan, wirklich offen zu sagen, dass ich eine generalisierte Angsstörung und Depressionen habe, dass das „Burn-Out“ nur der „Gipfel des Eisbergs“ war. – Ich habe schnell bemerkt, dass das die meisten Menschen nicht verstanden haben, viele es wohl nicht verstehen können und einige auch nicht wollen.

    Es wird generell erwartet, dass man ja schließlich irgendwann wieder richtig gesund sein müsse. – Dass manche Depressions- und Angstzustandssymptome nicht mehr einfach weggehen, dass man über Jahre Medikamnte nehmen muss deshalb, das wirkt augenscheinlich irgendwie „unglaublich“. Und auch, dass eine Therapie über Monate oder Jahre „nicht endlich“ zu einem „richtigen“ Ergebnis führt.

    Ich bemerke über all dem, dass ich nach einer Zeit versuchter relativer Offenheit inzwischen wieder stiller geworden bin, was meine Krankheit, vor allem ihre Langwierigkeit, die mögliche Tatsache, dass sie nie mehr ganz „verschwinden“ wird, angeht.

    Vielleicht bin ich schon zu empfindlich, aber mehr oder weniger unterschwellig spüre ich oft so ein „Der soll sich mal nicht so anstellen“ oder “ Das kann doch gar nicht sein, dass der immer noch was hat“

    Dafür, dass ich mir Hilfe gesucht habe, schäme ich mich nicht (mehr). Ich schäme mich auch nicht wirklich dafür, dass ich eben nicht mehr so richtig „funktioniere“. – Aber es ist nicht leicht, damit zu leben. Und die Umwelt trägt dazu nicht wenig bei. Und das führt dazu, dass ich unter manchem meiner schwachen Tage mehr leide als ich es sonst täte und dann doch wieder nicht mit mir im Reinen bin …

    Menschen wie Du, sind so kostbar!

    Viele, nur ganz liebe Grüße an Dich! ❤

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    1. Danke für deinen langen Kommentar, lieber sternfluesterer! Ich kann mir vorstellen, dass es belastend für dich sein kann, bei der Arbeit umgeben von menschen zu sein, die den Ernst deiner Krankheit nicht verstehen (wollen). Als Außenstehende/r kann man natürlich immer schnell urteilen…Hoffentlich gelingt es dir mithilfe eines Filters alle doofe Sprüche von dir abzuwenden!

      Liebe Grüße! ❤

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  4. Ich hatte das ja schon mal erwähnt: so lange es Leute gibt, die diese Krankheitsbilder entweder mißbrauchen (für gelben Schein) oder aber sie auch umgangssprachlich ins Lächerliche ziehen, dürfte die Akzeptanz der Krankheitsbilder schwer zu erreichen sein.
    Traurig, aber (noch) wahr.

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      1. Oder sich damit sehr sehr schwer tun und alles, was nicht greifbar ist, mit „einen an der Waffel haben“ gleichsetzen. Leider.
        Kollege von mir hatte ’nen Burnout und es sprach sich denn ja doch herum. Hinterher wurde er behandelt wie ein rohes Ei und wie ein kleines Kind zugleich. Das war für alle(!) Seiten blöd. Er hat dann – nicht allein deshalb – den Job gewechselt.

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      2. War es auch, große Redaktion, Schichtdienste, Großraumbüro, da sind vier Monate Ausfall schlecht zu kaschieren auch wenn man es versucht hatte. Ich hatte in der Zeit oft und lang mit ihm telefoniert.

        Naja, und als er wieder da war, wollte man ihn „nicht belasten“, „nicht, daß er wieder…“ – das bekam er mal direkt gesagt, mal hinter dem Rücken mit… War richtig scheiße, sag ich mal so deutlich.

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  5. Ich war in einem konservativen Dorf im Referendariat und dort haben sie meine Lehrerpersönlichkeit nicht akkzeptiert. Ich musste immer mehr von mir aufgeben, sodass ich irgendwann nur noch eine Marionette war, die mit verknoteten Fäden neben sich stand. Ich konnte nicht mehr zurück in die Schule und ich stellte mein ganzes Studium und meinem ganzen bisherigen Lebensweg in Frage. Ich wusste nicht mehr weiter und bin dann auch in Behandlung gewesen: Diagnose mittelschwere Depression mit Anpassungsstörung

    Dass ich solche Probleme hatte, habe ich mit meiner Familie und meinen Freunden thematisiert. Sie wussten, dass ich in Behandlung war. Heute bin ich zurück im Referendariat in einer großen Stadt und mache mich bisher ganz gut.
    https://haimart.wordpress.com/2018/12/24/bleibt-alles-anders/

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