Die meisten psychischen Krankheiten sind nach wie vor sehr schambehaftet, daher erfordert es viel Mut und Willenskraft, sich öffentlich zu bekennen. Was Betroffene daher gar nicht gern hören, ist, dass psychische Krankheiten in irgendeiner Weise ein „Trend“ seien.
Das Bewusstsein für seelische Sorgen wird von Jahr zu Jahr präsenter. Immer häufiger wird das Thema in Medien wie Büchern, Serien und Filmen repräsentiert. Auch viele Prominente – die Vorbilder der Zeit – sprechen offen darüber und zeigen auf, dass es völlig menschlich und okay ist, krank zu sein.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass das Thema einen wachsenden Stellenwert in der Social Media Welt erlangt. Ich finde diese Entwicklung super! Endlich sehe ich mehr als nur luxuriöse Reisen, gutes Essen und wilde Partys. Mein Feed ist voller Memes, in denen psychische Krankheiten ins Lächerliche gezogen werden; aber auch reich an mutmachenden Posts, Sprüchen, Videos, die dazu dienen, sich verstanden zu fühlen. Es klingt immer komisch, wenn ich sage, dass ich Plattformen wie Instagram liebe, aber so ist es. Die App gibt mir so viel – Kraft, Zuversicht und Austausch mit anderen. Ähnlich wie hier im Blog. ❤
Aber erst mal eins nach dem anderen. Wenn der Vorwurf des Trends aufkommt, öffnen sich gleich mehrere Türen. Eine von ihnen schmückt sich mit folgender Anschuldigung:
„Geht es denen nicht um Aufmerksamkeit?“
Ein weit verbreitetes Vorurteil ist, dass Menschen, die ihre Krankheit auf Social Media präsentieren, um Aufmerksamkeit buhlen. Zunächst einmal: Was wäre so schlimm daran, wenn es so wäre? Viele Menschen tun Dinge, um ihr Ego zu puschen – sich schminken, hübsche Kleidung anziehen, sich Muskeln anzutrainieren. Wo liegt der Unterschied zwischen dem Einen und dem anderen? Wenn schon eine Kritik stattfindet, dann auch bitte überall.
Ungeachtet dessen geht es vielen eben nicht um Aufmerksamkeit, sondern um viel mehr. Ich habe meinen Blog anonym gestartet, um mich mitzuteilen und einen Raum zu erschaffen, in dem Betroffene sich sicher und verstanden fühlen. Heute zeige ich mein Gesicht und sehe es bei jedem Post als eine Art Challenge, um mich nicht länger zu verstecken. Ich will Aufmerksamkeit, ja – aber nicht primär für mich, sondern für die Themen, für die ich einstehe und die ich repräsentiere.
„Aber macht das einen nicht noch kränker?“
Ein weiteres Vorurteil, das mir oft begegnet, ist die Aussage, dass psychische Krankheiten in irgendeiner Weise „ansteckend“ sein könnten.
„Macht es einen auf Dauer nicht depressiv, all diese traurigen Sprüche zu lesen?”
Dazu muss gesagt werden, dass psychische Krankheiten nichts sind, das man einfach so wie ein Schnupfen bekommt. Sie entstehen mit der Zeit, wie ein kleiner Wind, der zu einem Sturm aufzieht. Es ist zwar oft so, dass die Krankheit (wie ein Burn Out) plötzlich da ist, aber entstanden ist alles viel früher.
Natürlich können andere Menschen einen durchaus beeinflussen. Zum Beispiel neigen viele Kinder von Eltern mit psychischen Erkrankungen (die die Krankheit nicht behandeln) dazu, ebenfalls zu erkranken. Auch genetische Veranlagung und das Umfeld sind nicht von geringer Bedeutung.
Es kommt daher auf den Einfluss an.
Ana und Mia Gruppen machen einen selbstverständlich kränker – da geht es ja genau darum. Auch sonst gibt es so einige Portale, in der die Genesung eher zweitrangig ist und das Ausleben der Symptome (hungern, sich selbst verletzen, Drogen konsumieren, …) im Vordergrund steht. Deshalb kommt es auf den Einschluss an, mit dem man sich umgibt. Alles, was heilungsfördernd ist, ob nun ein Meme, ein Spruch, ein Text, ein Foto, ein Lied, etc. sollte unbedenklich sein.
Psychische Krankheiten sind kein Trend!
Wenn eine Person sich öffentlich traut, über ihre psychische Krankheit zu reden, gebührt ihr mein tiefster Respekt. Wenn sie sich trotz all der Vorurteile trotzdem dazu durchringt, ihre tiefsten Gedanken, Sorgen, Ängste und Erfahrungen mitzuteilen, ist das Letzte, das sie hören wollte, der Vorwurf, sie mache es bloß eines Trends wegen. Psychische Krankheiten sind kein Trend und erst recht nicht ansteckend. Niemand, der solchen Seiten folgt, wird automatisch ebenfalls krank.
Traut euch, darüber zu reden!
Dieser Apell gilt all jenen, die ebenfalls mit seelischen Sorgen zu kämpfen haben. Traut euch offen zu sein und darüber zu reden –selbst, wenn ihr dabei anonym bleiben wollt. Erzählt eure Geschichte, tauscht euch mit anderen Betroffenen aus, lasst euch auffangen. Je größer das Thema wird, desto mehr steigt die Sensibilität für psychische Krankheiten in der Gesellschaft.
Wie geht ihr mit diesem Thema um? Und Hand aufs Herz: Haltet ihr ihre Darstellung manchmal auch für einen Trend?
Allgemein stimme ich dir zu – immerhin schreibe ich auch über das Leben mit/den Weg aus bestimmten psychischen Symptomen und Krankheiten. Und das ist definitiv keine (reine) Suche nach Aufmerksamkeit und definitiv kein Trend, sondern eher eine Suche nach Verständnis, einem Umgang, Ausgleich und danach, eigene Gedanken zu reflektieren und neu zu ordnen, fest zu halten und den Verlauf zu sehen (zumindest für mich)
Was ich jedoch kritisch sehe ist, wenn psychische Erkrankungen, Symptome und Verhalten zelebriert werden. Also wenn der Hilferuf oder der Umgang mit einer Situation, der die Krankheit eigentlich ist, öffentlich wird und gleichzeitig jede Art der Änderung oder Hilfe über einen längeren Zeitraum abgewiesen wird.
Und klar, es ist super schwer, da eine pauschale Verallgemeinerung zu treffen und Menschen, die einen bestimmten Umgang mit ihren Erkrankungen haben, zu kategorisieren. Manche Accounts machen mich aber diesbezüglich einfach stutzig.
Liebe Grüße!
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Was genau meinst du mit zelebriert? 🙂 irgendwie habe ich das noch nicht so recht verstanden!
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Mit zelebrieren meine ich in dem Zusammenhang, dass ungesunde Verhaltensweisen gefeiert und öffentlich ausgelebt werden, ohne den Wunsch zu spüren, sie zu verändern. Im Extremfall wären das im Bezug auf Essstörungrn für mich z.B. Blogs, die das Hungern positiv darstellen und statt an den eigenen Ängsten zu arbeiten, die Schuld ausschließlich bei anderen suchen.
Erklärt es das ein bisschen genauer? 🙂
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Achso!! Ja, das sehe ich genauso! Ich sehe deshalb auch diese Fakten Fitness Blogs etwas kritisch, vor allem, wenn sie von ehemals essgestörten Menschen gegründet werden und weiterhin Diäten und Sport proklamieren!
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Während meines Klinikaufenthalts habe ich ein paar (wenige) Menschen erlebt, bei denen ich im Verlaufe bemerkt zu haben glaube, dass sie nicht wirklich an einer psychischen Erkrankung litten. Eine Frau wollte ganz offensichtlich „ein Ticket“, um nicht mehr arbeiten zu müssen. Ein, zwei andere steckten eher in Beziehungskrisen unterschiedlicher Art. Sie wollte gehört werden, so war mein Eindruck, und irgendwie waren es also ja auch Hilferufe, wenngleich wohl (noch) keine mit Krankheitswert, sondern eher prophylaktische.
Aber ganz egal: lieber einen Hilferuf mehr sensibel wahrnehmen als einen überhören. Niemand, der wirklich psychische Probleme hat, etwa an Depressionen oder Angstzuständen leidet, schützt das vor, um sich „interessant“ zu machen oder einem „Trend“ zu entsprechen.
Solche Behauptungen sind sehr gemein, zeugen von Unkenntnis oder gar Ignoranz.
Verständlicherweise noch schwerer ist es sicher für „Außenstehende“, dass manche psychischen Krankheiten oder zumindest etliche ihrer Symptome auch beständig sein können, trotz aller Therapie und allem an sich arbeiten. – Dabei ist es auch da nur wie bei allen anderen Krankheiten auch: Nicht alles ist immer (vollständig) heilbar …
Danke für Deinen schönen und wieder wichtigen Eintrag!
Nur ganz liebe Grüße an Dich! 💖
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Entschuldige die späte Rückmeldung, lieber sternfluesterer, ich habe vergessen, rechtzeitig zu antworten! Deine Erfahrung in der Klinik klingt sehr spannend und auch erschreckend – vor allem die Frau, die nur nicht arbeiten musste. Ich frage mich nur, ob das nicht auch schon ein Hilferuf an sich ist? Wenn sie schon so weit geht, um nicht mehr zu arbeiten?….
Liebe Grüße! ❤
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