„Sieh’s doch positiv?“ Nein! – Was ist toxische Positivität?

Oft kann es helfen, die Dinge aus einer positiven Sicht zu betrachten. Aber inwieweit kann man es da übertreiben? Und ab wann ist von toxischer Positivität die Rede?

Das Wort „toxisch“ begegnet uns aktuell überall. Toxische Männlichkeit, toxische Beziehungen, toxischer Arbeitsplatz, etc. Aber eigentlich zeigt es nur auf, wie stark unser Bewusstsein für ungesunde Atmosphären geworden sind. Je schneller wir erkennen, dass etwas oder jemand toxisch ist, desto eher können wir uns der „Gefahr“ entziehen, denn wir alle wissen: Was toxisch ist, tut uns nicht gut und muss weg.

In diesem Beitrag geht es um eine toxische Verhaltensweise, die ich sehr spannend finde, weil sie durch ihre positive Konnotation oft nicht (sofort) als toxisch wahrgenommen wird.

„Sieh’s positiv!“

Wir alle kennen die Strahlemenschen, die stets gut gelaunt sind, und trotz aller Niederlangen das Positive sehen. Solche Menschen inspirieren mich und stecken mich oft mit ihrer positiven Laune an. Ich habe keinen Zweifel daran, dass es sich tatsächlich leichter lebt, wenn man die Dinge positiv sieht, und den blöden Dingen keinen großen Raum gibt.

Andererseits weiß ich auch, dass wir Menschen unterschiedlich sind, und nicht alle die Möglichkeit haben, immer nur das Gute zu sehen. Wer viel Ballast mit sich trägt, hat es vielleicht schwerer, immer alles positiv zu sehen. Und überhaupt ist ist eine positive/negative Einstellung total situativ. Es gibt Momente, in denen ich viel mehr Kapazitäten für „Mist“ habe, und andere, bei denen ich wegen einer Kleinigkeit in Tränen ausbrechen könnte.

Alles immer negativ zu sehen ist sicher fatal, aber das gilt andersherum genauso. Alle Extreme sind nun mal … na ja, extrem …

Aber was bedeutet das im Konkreten für die toxische Positivität?

Was ist toxische Positivität?

Toxische Positivität beschreibt kurz gesagt das Phänomen, wenn beinahe zwanghaft nach einer positiven Einstellung gestrebt wird – so stark, dass negative Gefühle gar keinen Raum mehr bekommen.
Das hat gleich mehrere Nachteile.

1. Verdrängung

Wenn wir alles immer nur positiv sehen, können wir unseren negativen Gefühlen keinen Raum geben, und verdrängen sie. Die Folgen muss ich vermutlich niemandem erklären – nur so viel: Es ist eindeutig gesünder, sich ein Mal ordentlich auszukotzen, als die Last ständig unter Verschluss zu halten.

2. Empathielosigkeit

Wer einem die negativen Gefühle abspricht à la „Sieh doch nicht immer alles so negativ!“ ist nicht sehr empathisch. Aber Gefühle sind immer richtig. Sie können nicht falsch oder übertrieben oder dramatisch sein. Wenn wir traurig oder deprimiert oder wütend sind, ist das nun mal so. Die Gefühle verschwinden nicht einfach, nur weil uns jemand dazu rät, die Dinge positiv zu sehen. Außerdem ist niemandem damit geholfen. Wer mit toxischer Positivität überhäuft wird, fühlt sich danach meistens noch schlechter, weil ihm das Gefühl suggeriert wird, er oder sie würde bloß „jammern“.

Was wir tun können, damit Positivität nicht toxisch wird

Wenn wir jemanden trösten wollen, können wir das tun, ohne der Person gleich ihre Gefühle abzusprechen. Meiner Meinung nach funktionier das am besten, indem wir allen Gefühlen ihren Raum geben und gleichzeitig aufzeigen, dass die Person etwas aus der Situation mitnehmen kann.

Hier ein paar Beispiele für Formulierungen:

Das tut mir so leid, dass dir das widerfahren ist, aber jetzt weißt du wenigstens, dass du da nie mehr hingehst. 🙏🏾

Das klingt ja wirklich total ärgerlich, doch es wirkt, als hättest du aus dieser Situation ganz viel gelernt und mitgenommen. 🙂

Oh Mann, wie blöd! Aber das hätte auch niemand wissen können. Fürs nächste Mal weißt du dann auf jeden Fall bescheid!

In allen Beispielen begegnen wir dem Gegenüber erst mit Empathie und zeigen Mitgefühle für die Situation, ehe wir anschließend etwas Tröstendes hinterherschicken, das die Person positiv stimmt. Ganz ohne toxisches Verhalten!

Nichtsdestotrotz glaube ich, dass eine positive Einstellung das Leben auf jeden Fall bereichern kann, solange wir den negativen Emotionen trotzdem Raum geben. Never a failure, but always a lesson – so heißt dieser Kalenderspruch doch, oder? 😉 Wichtig ist nur, anderen nicht „positive Vibes“ aufzudrängen, denn damit stoßen wir die Menschen von uns ab, obwohl das vielleicht sogar das Letzte ist, das wir wollen.

Was sind eure Gedanken zur toxischen Positivität?

2 Kommentare zu „„Sieh’s doch positiv?“ Nein! – Was ist toxische Positivität?

  1. Zur toxischen Positivität gibt es einen krassen Film: „Die Kunst des negativen Denkens“, in dem eine Therapeutin total unempatisch eine Therapiegruppe leitet. Es kommt dann zu einem Showdown als einer Teilnehmer der Gruppe gegen sie aufbegehrt und die Anderen motiviert, das ebenfalls zu tun.

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