Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte…würde ich auf meine Essstörung verzichten?

Gestern hatten meine beste Freundin und ich ein interessantes „Was wäre wenn“-Gespräch. Wir unterhielten uns über Perioden im Leben, die wir am liebsten rückgängig machen wollten. Ich fand heraus, dass es kaum etwas gab, dass ich bereute, weil es im Nachhinein stehts eine Lehre war. Aber dann dachte ich über meine Essstörung nach…

Würde ich auf meine Essstörung verzichten?

Es vergeht kein Tag, an dem ich mich nicht über meine Essstörung beklage. Ich klage über meine Wahrnehmung, über meinen Zwang und darüber, ihm krampfhaft zu widerstehen. Ich wünsche mir nichts mehr, sie endlich zu überwinden – und doch wünsche ich mir nicht, dass ich sie nie bekommen hätte.

Ich habe viel über meine Essstörung gelernt.

Durch meine Essstörung wurde ich um vielfaches weiser . Nicht nur legte ich das stigmatisierte Bild von Essstörungen ab, ich befasste mich auch erstmals mit anderen psychischen Krankheiten. Ich unterließ das voreilige Werten und distanzierte mich von denjenigen Menschen, die es taten. Meine Essstörung machte mich toleranter.

Es würde nichts bringen die Zeit zurückzudrehen.

Eine Essstörung entsteht nicht über Nacht. Auch bei mir schlich sie sich wie ein kleines unschuldiges Kätzchen an und begleitete mich fortan wie ein Schatten. Es gab unzählige Faktoren, die dazu beitrugen – von Erziehung bis hin zum Freundeskreis, persönlichen Erfahrungen, meiner Hautfarbe, meiner Weiblichkeit usw.

Wenn ich auf den Verlauf meines Lebens blicke, dann war es wohl nur eine Frage der Zeit, bis ich eine psychische Krankheit bekommen hätte. Wäre es nicht die Essstörung gewesen, dann wäre es vielleicht etwas anderes gewesen – Depression,  PTBS, …  Vielleicht hätte ich noch Jahrzehnte lang durchgehalten und wäre irgendwann mit 50 das erste Mal mit einer Therapie in Berührung gekommen. Wenn ich also meine Essstörung aufhalten könnte, müsste ich erst alles andere in meinem Leben ändern. ^^

Ich hasse meine Essstörung, aber ich bin ihr trotzdem dankbar, dass ich seitdem ein viel aufgeklärter und toleranter Mensch bin.  Es freut mich, dass ich aus der schwersten Periode meines Lebens etwas Positives ziehen konnte…

Natürlich wird das nicht jeder so sehen und das auch zu gutem Grund! Mich würde allerdings trotzdem interessieren, wie ihr das so seht?

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24 Kommentare zu „Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte…würde ich auf meine Essstörung verzichten?

  1. Es ist schön, dass du das gute an der Krankheit sehen kannst!
    Ich denke, es ist wichtig mit sich und seinem Werdegang im reinen zu sein. Schließlich hat alles, was man durchlebt hat, einen zu dem gemacht, was man ist. Einen Teil der Vergangenheit rückgängig machen zu wollen bedeutet auch immer, sich selbst, so wie man (geworden) ist, nicht zu akzeptieren…
    Wenn ich zwar auch nicht auf eine psychische Erkrankung zurück blicken, kenne ich natürlich auch schwerere Zeiten, auch mental… Gerade wenn ich an die scheiß Zeiten der Pille denke… Doch alles gehört eben zu mir.
    Und ich glaube, du kannst wirklich von dir behaupten, durch die Krankheit gewachsen zu sein, selbst, wenn sie noch nicht völlig überwunden ist!
    Liebe Grüße ☺

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    1. Ich freue mich immer riesig über deine Kommentare, liebe Luna. Vor allem, weil ich mich oft verstanden fühle, obwohl du nicht die gleichen Erfahrungen gemacht hast und weil du mir immer wieder meine Fortschritte vor Augen hältst! ❤

      Liebe Grüße :*

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      1. Und für mich ist es immer eine Freude, deine Texte zu lesen! Auch wenn der Inhalt nicht immer durch und durch positiv ist, so ist es doch immer deine unvergleichliche Art, die mich berührt
        ♥️

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  2. Sollte man intoleranten Menschen solche Erfahrungen und Erkenntnisse wünschen, auch wenn es bedeutet, dass Diese dann zunächst erstmal psychisch erkranken?
    Prinzipiell wünsche ich niemandem was böses oder schlechtes, aber bei so manchem rücksichtslosen und unsensiblen Zeitgenossen würde ich eventuell eine Ausnahme machen, denke ich. LG

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  3. Toller Beitrag, liebe Mia. Und echt schön, dass du aus einer so grausamen Erfahrung etwas Positives ziehen kannst. Das nenn‘ ich mal stark.
    Und ich kann es verstehen. Es geht mir zwar gerade absolut nicht gut, und ich werfe mir in solchen Momenten selbst vor, mein halbes Leben an die Essstörung verschwendet zu haben, aber ich glaube, die Zeit zurückdrehen würde ich dennoch nicht. Weil ich meine Essstörung eben nicht isoliert betrachten kann. Da ist so viel passiert, was dazu geführt hat, dass ich mir sicher bin, dass die Krankheit mich zeitweise gerettet hat. So sehr sie mich gequält hat, so oft sie mich fast getötet hätte (nicht nur psychisch), sie ist wahrscheinlich der Grund, warum ich heute noch lebe. Ich will damit nicht sagen, dass es gut war, dass ich krank war. Und ich will damit erst recht keine Krankheit verherrlichen oder jemanden animieren, sich sowas ‚auszusuchen‘. Die Essstörung war einfach die Art der Verarbeitung, die meine Psyche sich ausgesucht hat (dass da eigentlich Borderline dahintersteckt, weiss ich ja erst seit drei Jahren).
    Und nun, da ich sie seit mehr als zwei Jahren tatsächlich überwunden habe – nach über sechzehn Jahren Krankheitsgeschichte -, kann ich auch sagen, dass ich so viel stärker geworden bin dadurch. Dass ich mehr überleben und aushalten kann, als ich es je für möglich gehalten hätte. Ich habe einen unglaublich starken Willen entwickelt. Zuerst zwar gegen mich gerichtet, aber als ich mich entschieden habe, gesund zu werden, endlich für mich, und den kann mir keiner nehmen. Ich weiss nicht, wie ich wäre, wenn ich nie erkrankt wäre. Ich weiss nicht, wie mein Leben jetzt aussähe ohne diese langen Jahre. Aber ganz sicher wäre sehr vieles anders. Und ich glaube, das will ich gar nicht. Erfahrungen, skurrile, lustige, berührende Momente, Menschen, die ich nie kennengelernt hätte… Darauf will ich nicht verzichten. Auch nicht für ein Leben, das vielleicht sehr viel leichter gewesen wäre.

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    1. Danke für deinen so tollen Kommentar, liebe Elín! Du hast mit der Krankheit viel länger zu kämpfen gehabt als ich es tue, daher finde ich es außerordentlich stark, dass auch du die Zeit nicht zurückdrehen würdest. Natürlich wünscht man sich endlich loszukommen, aber es hilft meiner Meinung nach sehr auch ein paar positive Dinge zu sehen!

      Liebe Grüße!

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      1. Ich bin mir sicher, dass du irgendwann von loskommen wirst. Narben werden bleiben, aber das macht nichts. Sie werden verheilen. Manchmal, wenn sie besonders tief waren, tun sie vielleicht ein bisschen weh, aber grundsätzlich sind sie irgendwann nur noch Erinnerung. Eine, die dich geprägt hat – egal, wie lange du mit der Essstörung kämpfst -, aber Erinnerung. Aus der wir alle etwas mitnehmen können, was uns irgendwie hilft. Deshalb gefiel mir dein Beitrag so gut. Das ist, wie ich finde, ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Loslassen. Solange du die Krankheit hasst, wirst du sie nicht los, jedenfalls nicht in Gedanken.
        Ich wünsche dir alles Liebe und viel Kraft für den Weg, der noch vor dir liegt.
        Alles Liebe
        Elín

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  4. Ich weiß wie es dir geht zumindest ansatzweise ich würde meine körperlichen leiden manchmal auch gern abgeben kein Vergleich zu deiner Essstörung klingt bestimmt jetzt blöd für dich aber dieser Satz ich lebe mit der Krankheit und nicht die Krankheit mit mir hilft mir manche Situation zu überstehen Lg

    Gefällt 2 Personen

  5. Dein Eintrag hat mich sehr berührt. Auch, weil ich SO über meine eigene Erkrankung noch nie nachgedacht habe. Jetzt hast Du in mir dieses Nachdenken ausgelöst …

    Ich finde Deine Sichtweise großartig. Sie passt so sehr zu dem Menschen, der Du bist. Und ich habe wieder einmal einen sehr wertvollen Anstoß erhalten.

    Wenn mehr Menschen sich, über die Auseinandersetzung mit sich selbst, zu solchen Folgrungen wie Du kämen, wäre die Welt eine viel schönere, weil rücksichtsvollere, einfühlsamere, freundlichere.

    Du gibst Menschen, die Dich lesen, die Dir begegnen, vor allem, die Dich kennen, unglaublich viel. Vor allem Menschlichkeit!

    Nur ganz, ganz liebe Grüße an Dich! 💖

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    1. Lieber sternfluesterer, danke für deine lieben Worte. Es bedeutet mir immer sehr viel, wenn ich mit meinen Worten andere zum Nachdenken bringe oder gar berühre! Manchmal hilft es aus dem Ganzen auch etwas Positives zu ziehen. Ich glaube, dass man damit auch besser mit der Vergangenheit umgehen kann.

      Liebe Grüße! ❤

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  6. Liebe Mia,
    wie immer ein toller Beitrag.
    Du führst einen Blog „über Essstörungen, Kampfgeist und Motivation“ und die letzten beiden Wörter finden ihre Bedingung im ersten Wort.
    Genau das finde ich in diesem Beitrag wieder. Deine Essstörung scheint Dich etwas gelehrt zu haben und in der Vergangenheit schrieb ich bereits, wieviel Kraft und Mut und Stärke ich (wenn auch zwischen den Zeilen) aus Deinen Beiträgen herauslese. Die „Rückschläge“ unseres Lebens, scheinen die Fortschritte zu sein, wenn wir sie nur anerkennen. In Dir sehe ich diese Annahme, Reflektion und Umsetzung. Für mich gehörst Du zu den Menschen, die aus einem Kohlestück, nach und nach einen Diamanten hervorzaubern oder aus den ganzen Steinen, die Dir in den Weg gelegt werden, ein Traumhaus baust.
    Äußerst inspirierend! Weiter so!
    Liebe Grüße
    Serap

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    1. Danke für deine Worte, liebe Serap! Es berührt mich sehr, dass du sowohl Kampfgeist, als auch Motivation in meinem Beitrag findest! Ein Rückschlag muss nicht immer nur Kehrseiten haben, wenn man später auf ihn zurückschaut.

      Und dein Vergleich zum Schluss hat mich gerade fast zu Tränen gerührt! Diamanten….Wow. DANKE!

      LIebe Grüße!

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  7. Sehr gerne, liebe Mia. Ich wollte gerne reflektieren, was ich aus deinem Text herauslese. 🙂

    Vielleicht hier noch eine kleine Idee: Von Essstörungen habe ich keine Ahnung, was ich jedoch sehe ist, dass Du eine exzellente Person wärst, um eine Selbsthilfegruppe zu leiten. Du gehörst meines Erachtens zu den Personen, die die Probleme am Schopfe packen und stelle mir sehr gut vor, wie Du mit Deiner Vorgehensweise und vor allem mit Deiner Reflektion (die sehr ausgeprägt ist) andere inspirieren kannst. Menschen mit Deinen Fähigkeiten gibt es nicht an jeder Ecke und vielleicht wäre es über den Blog hinaus eine weitere Option, wie Du Menschen in ähnlichen Situationen unterstützen kannst.

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    1. Oh, was für ein großes Kompliment! Ob ich sowas wirklich tun, könnte, weiß ich nicht. Das Schreiben fiel mir schon immer leichter als das Reden. 😀 Trotzdem berührt es mich sehr, dass du mir diese Rolle zutrauen könntest!<3

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      1. Absolut traue ich Dir das zu.
        Stell‘ Dir vor, Du hättest eine Gruppe vor Dir: Einfach eine Deiner Geschichten vorlesen und dann die Konversation anstupsen und schon ist man im Austausch, wie auch hier auf dem Blog. Ganz einfach. 🙂
        Viele liebe Grüße
        Serap

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