Heute habe mal nicht ich das Wort, sondern die liebe Isabel, auch bekannt vom Blog Ernährungsrevolution. Als Diätologin hat sie oft einen ganz spezifischen Blick auf Dinge, zum Beispiel auch auf das Thema BMI. Warum er trotz seiner Popularität so veraltet und problematisch ist, erklärt sie euch hier in diesem Gastbeitrag!
Hallo liebe Leser*innen! Ich freue mich sehr über die Gelegenheit dieses Gast-Blogbeitrags, in dem ich euch etwas über den längst überholten BMI-Schwachsinn erzählen darf. Damit ihr wisst, wer zu euch spricht: Mein Name ist Isabel Bersenkowitsch, ich bin Diätologin und Kopf hinter dem Wiener Unternehmen Ernährungsrevolution. Derzeit arbeite ich an einem 5-monatigen, multiprofessionellen online Food-Freedom Gruppencoaching, das im Mai gelauncht wird und Menschen bei der Wiederherstellung einer gesunden Beziehung zum Essen und zu sich selbst unterstützt. Mein Spezialgebiet ist also Ernährung und Psyche.
Was mich als Diätologin schon sehr lange begleitet, ist, dass die Interpretation von Wert und Gesundheit oftmals vom body mass index (BMI) anhängig gemacht wird. Nicht nur von Individuen, sondern auch von Gesundheitspersonal und Ärzt*innen. Die Problematik dahinter ist multidimensionell.
Entwicklung des BMI
Der BMI wurde 1830 von einem Mathematiker entwickelt, der die Gewichtsklassen-Normalverteilung einer definierten Gruppe, das waren über 5000 männliche, schottische Soldaten, feststellen sollte. Es wurde bereits damals formuliert, dass seine entwickelte Formel kg/m2 nicht zur Definition des individuellen Gesundheitszustandes eingesetzt werden kann, sondern nur einen Überblick über die Werte einer Population gibt. Wenn wir heute die Studienergebnisse einer derart homogenen Gruppe (männlich, weiß) auf alle anderen Menschen übertragen würden, würde das bezüglich schlechter Studienqualität ein großes Empörungs-Echo schlagen. Frauen und Menschen aller Ethnizitäten vergleichen bis heute ihren Körper mit männlichen, weißen Soldaten aus dem Jahr 1830. Erkennst du, wie verrückt das ist?
Einführung des BMI
Um die Jahrhundertwende wollten Versicherungsgesellschaften den Gesundheitszustand ihrer Kund*innen bewerten, um sie dementsprechend einstufen zu können. Es gab Hinweise, dass ein erhöhter BMI mit einer erhöhten Sterblichkeit zusammenhängt – demnach sollten dicke Menschen für ihr erhöhtes gesundheitliches Risiko mehr zahlen.
Diese Perspektive hat sich bis heute in den Köpfen der Menschen manifestiert. Was aber noch kaum jemand bemerkt hat, ist, dass ein Zusammenhang nicht als Ursache interpretiert werden kann.
Statistische Fehler
Ein Beispiel: Es kann beobachtet werden, dass Menschen mit gelben Zähnen eher an Lungenkrebs erkranken (=Zusammenhang). Anstatt zu sagen, dass gelbe Zähne Lungenkrebs auslösen (das wäre eine Darstellung als Ursache), ist es hier logischer, nach dem gemeinsamen Nenner zu suchen, der sowohl auf Zähne, als auch auf die Lunge wirkt: Rauchen.
Genauso können wir das auch beim Körpergewicht tun. Wenn formuliert wird, dass ein erhöhtes Körpergewicht Krankheit auslöst, ist das die Darstellung eines Zusammenhangs als Ursache. Das revolutionäre Konzept Health At Every Size® das von Linda Bacon, PhD, einer amerikanischen Wissenschaftlerin entwickelt wurde, weist unter anderem auf folgende Problematiken hin:
1. Dicke Menschen sind in unserer Gesellschaft einer hohen Diskriminierung ausgesetzt.
Diese Diskriminierung wirkt sich auf Körpergewicht (emotionales Essen als Ventil, Durchführung von Diäten, die langfristig noch dicker machen) und Gesundheit (hohe Stresswerte – schädlich für Gefäße) negativ aus. Solange es in der Wissenschaft keine Kontrollgruppe gibt, in der der Störfaktor Diskriminierung eliminiert werden kann, kann in Bezug auf BMI und Gesundheit lediglich von einem beobachteten Zusammenhang gesprochen werden, aber nicht von einer Ursache.
2. Ob jemand ein erhöhtes Risiko für Stoffwechselkrankheiten hat, wird im Blut über sogenannte metabolischen Biomarker, wie zum Beispiel Blutfette oder Blutzuckerwerte festgestellt.
Dass es dicke Menschen gibt, die metabolisch völlig gesund sind, und dünne Menschen gibt, die metabolisch ungesund sind, hat vor allem mit Genetik und Verhalten zu tun. Körpergewicht ist kein Verhalten. Eine ausgewogene, abwechslungsreiche Ernährung ist ein Verhalten. Bewegung, die einem Spaß macht, ist ein Verhalten. Körpergewicht ist nur ein Symptom eines konkreten Verhaltens, auf das wir keinen direkten Einfluss haben. Unterschiedliche Körperformen sind Teil der menschlichen Existenz und die metabolische Gesundheit kann durch gesundheitsförderndes Verhalten, unabhängig vom Körpergewicht, gesteigert oder verringert werden.
Zusammensetzung des Körpers
Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, ist die Körperzusammensetzung. Viele Athlet*innen werden vom BMI als übergewichtig und damit am Papier als ungesund eingestuft. Diese Formel erlaubt also auch keinen Blick in den Körper – Muskel- und Fettmasse werden nicht unterschieden. Ein weiterer Fakt, der beweist, wie unnötig und unbrauchbar diese Formel ist.
Abschließend möchte ich sagen, dass ich mir als Diätologin wünsche, dass wir endlich erkennen, wie viel Schaden dieses unseriöse Messinstrument bereits ausgelöst hat.
Menschen mit gesunden Gewohnheiten werden zu extrem gesundheitsschädigendem Verhalten motiviert, nur um ihren Körper in einen fehlerhaft definierten Normwert zu zwingen. Ich hoffe und tue alles dafür, dass hier endlich ein Umdenken stattfindet, indem wir dem konkreten, gesundheitsförderndem Verhalten mehr Beachtung und Wert schenken, als einer schlechten Studienqualität.
Vielen Dank Isabel, für deine wunderbaren Worte! Ich habe aus diesem Beitrag so viel mitgenommen und kann nicht fassen, dass der BMI nach wie vor so gesellschaftlich anerkannt ist!
Falls ihr auch mal einen Gastbeitrag zum Thema Mental Health schreiben wollt (anonym oder nicht) könnt ihr mir gern schreiben! ❤
Das habe ich noch nie so gesehen oder hinterfragt, wie es Isabel hier dargestellt und schlüssig begründet hat.
Vielen Dank für diesen für mich ausgesprochen lehrreichen Beitrag! 🙂
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Sehr gerne lieber sternfluesterer!♥️
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Toller Beitrag!
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Danke!♥️
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