Über Wut und andere unterdrückte Gefühle- Therapiestunde #4

Anknüpfend an meinen Beitrag Wohin mit der Wut?, bringe ich diesen nun einige Wochen später mit meinen Erfahrungen der Therapie in Einklang.

Wer den Beitrag gelesen hat, erinnert sich vielleicht an einen aufbrausenden wirklich zornigen Text, den ich inmitten der Handlung in einer U-Bahn schrieb, um diese Gefühle ganz genau festzuhalten. Ich schrieb von einem so intensiven Gefühl, dass mich so überrannte, dass ich glaubte, jeden Moment umzukippen. Ich wollte heulen und mich krümmen. Ich wollte, dass es aufhört.

Im Laufe der Therapie diskutierten wir nicht selten darüber, was mit meiner Wut geschah, wenn ich ihr nicht freie Luft machte. Meine eigene Theorie war, dass ich Gras über die Sache wachsen ließ und sie irgendwann verpuffte. Meine Therapeutin war anderer Meinung.

Unterdrückte Gefühle

Warum sollte ich meine Wut unterdrücken?, fragte ich mich. Ich war schlicht und einfach kein „Schrei“-Mensch. Nur weil ich nicht gerne in Auseinandersetzungen geriet, bedeutete das doch nicht, dass ich meine Gefühle unterdrückte. Oder?

Natürlich sagte sie nicht „nein“. Das stand ihr überhaupt nicht zu. Doch sie fragte mich, wie lange es dauerte, bis „Gras über die Sache gewachsen war.“

Die Dauer der Wut

Dies ließ mich natürlich etwas stutzen. Hmm…Eigentlich war ich noch immer sauer. Über Dinge, die Monate, wenn nicht gar Jahre zurücklagen. Wann immer ich daran dachte, staute sich Wut in mir auf, weswegen ich es vermied, bewusst daran zu denken. Und durch die Therapie kamen so viele neue Erinnerungen hinzu. Geschehnisse aus der Kindheit, Geschehnisse aus der Schulzeit, Geschehnisse aus Beziehungen. Wegen allem war ich wütend. Und ich wusste nicht wohin mit der Wut und konnte ja wohl schlecht zu meine  Eltern fahren und sagen: Hey, Mama, Papa, wisst ihr noch als *** passiert ist? Das hat mich unglaublich geprägt. Das hat mich beschämt und erniedrigt. Das hat so eine riesige Narbe hinterlassen, dass ich bis heute Panik bekomme, wenn *** passiert.

Sowas könnte ich nicht sagen. Das wäre einfach nicht fair. Was geschehen ist, ist geschehen und das lässt sich nicht ändern. Aber durchaus ändern lässt sich mein aktueller Bezug zur Wut. Heute habe ich die Möglichkeit, diese Gefühle auszusprechen und damit real werden zu lassen.

Rückblick mit neuen Gedanken

Und dann kam mir die Situation von neulich in den Sinn. Ich dachte daran, wie ich meine Wut raus ließ, wie ich alles sagte, was mir auf dem Herzen lag und wie enttäuscht ich war. Aber ich war nicht mehr sauer. Ich hatte meinen Gefühlen einen Ort gegeben, in dem sie ihren Freiraum hatten und demnach war kein Stau mehr in mir. Die Wut war raus, der Konflikt hat sich geklärt und auch, wenn nicht das erwartete Verständnis kam, so ist die Wut weg. Ich bin nicht mehr sauer und nicht mehr nachtragend.

Alles kommt irgendwann wieder hoch.

Seine Gefühle zu unterdrücken, ist immer falsch. Denn irgendwann sucht der Körper nach einem Ventil. Mein Venitl war die Bulimie. Der Fokus auf meinen Körper, die Kontrolle darüber und dem Lebensgefühl, dass es mir gab, wenn ich schlank war. Nicht zu vergessen das Lebensgefühl, dass ich vom Essen erhielt.

Mit meiner Krankheit sieht es im großen und ganzen viel besser aus. Und ein großer Teil hat dazu beigetragen, dass ich meine Gefühle immer weniger unterdrücke.

Zum Abschluss ein Appell an die Bloggerwelt (und jeden anderen auch): Ich lese oft von unterdrückten Gefühlen, auch wenn diese nicht in dem Wortlaut niedergeschrieben werden. Ich lese von Trauer, Wut, Angst und der einsamen Auseinandersetzung damit. Hiermit wollte ich euch die Konsequenz des Nicht-Unterdrückens visualiseren. Auch wenn es anfangs scheint, als würde es alles schlimmer machen. Für mich hat es letztlich einen positiven Effekt.

Euch einen schönen Freitag! ♥

 

 

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10 Kommentare zu „Über Wut und andere unterdrückte Gefühle- Therapiestunde #4

  1. Und bei jeder Textstelle nicke ich zustimmend. Du hast recht, wenn ich bisschen überlege wie viel Wut in mir drin ist..9 Jahre gut verpackt. Aber, seit ich mich nicht mehr übergebe, gebe ich mehr kontra, weil ich die Wut kaum aushalten kann. Die blöde Traurigkeit leider schon. Ich wünsche dir ganz viele spürbare Gefühle, die nicht ihren Platz in die finden

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  2. Wieder ein schweres Thema für mich. Wut ist nicht so sehr mein wichtigstes Thema, aber sonst unterdrückte Gefühle, ja da könnte ich listenlang schreiben. Enttäuschung, Versagen, Verlust, Sehnsucht, Traurigkeit … – wo soll man damit hin, wenn es nicht mal einen richtig fassbaren „Adressaten“ gibt. Und dann ist es ja noch eine zusätzliche Schwierigkeit, dass das Äußern derartiger Gefühle keinesfalls risikolos ist. Es macht schnell sehr angreifbar, verletztlich. Und dann kommt da eine Spüirale in Gang.

    Als Ergebnis meiner Therapie habe ich begonnen bzw. versuche es wenigstens immer wieder , mich meinen Gefühlen, Empfindungen zu stellen. Ist aber sehr schwer. Am schwersten mit dem Gefühl der irrationalen Angst/Panik. Die haut mich immer wieder aus den Schguhen, weil sie häufig so lange andauert, bis ich buchstäblich „leer“ bin und mich dann auch genauso fühle.

    Ich weiß nicht, ob ich jetzt nicht irgendwie am eigentlichen Thema vorbei geschrieben habe. Aber es waren lat die Gedanken, die mir durch den Kopf gegangen sind.

    Auf jeden Fall, freut es mich für Dich sehr, liebe Mia, dass Du offenbar einen Weg gefunden hast, Dein Gefühl der Wut für Dich konstruktiv und positiv zu händeln. Das ist schön …

    Liebste Grüße an Dich!

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    1. Lieber sternfluesterer, natürlich sind meine Worte leichter geschrieben, als umzusetzen. Gefühle rauszulassen sind ein enormer Prozess und keineswegs einfach. Insbesondere wenn die Gefühle so intensiv und überwältigend sind. Sich ihnen zu stellen ist der erste große Schritt und auf diesen kannst du unfassbar stolz sein (auch wenn es nicht immer gelingt).
      Schreibst du deine Gefühle manchmal auf? Also nicht das Ereignis, sondern die Gefühle? Ich habe es eine Zeit lang gemacht und es hat geholfen, meine Gefühle besser zu reflektieren oder gar wahrzunehmen.

      Auf jeden Fall wünsche ich dir alles Gute und nur das Beste!!

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  3. Hallo Mia, beim lesen musste ich wieder an meine Klinikzeit denken. Das Thema war damals sehr präsent, rückblickend war es wohl das schwerste, das ich dort mit meiner Therapeutin behandelt habe. Mein Synonym dafür war „mein innerer Garten“, eigentlich war da ein Buch mit diesem Titel und es war natürlich ein Buch zum entwickeln positiver Gedanken und Lebensweisen. Mich machte eine Übung daraus in der Körpertherapie allerdings sehr wütend. Letztlich malte ich in der Gestaltungstherapie meinen inneren Garten in einer sehr destruktiven Darstellung (rein pflanzlich) und hinter einem Zaun mit einer verschlossenen Tür. Dieses Bild bewegte meine Therapeutin dazu, meine unterdrückten Gefühlen, zu dem auch die Wut gehörte, aus mir heraus zu holen. Es brachte mir in vielem eine Art Klarheit, doch von der entferne ich mich zusehends wieder. Mag sein, dass es an meinem Umfeld liegt. In der Klinik fühlte ich mich geschützt und verstanden und irgendwie „freier“. LG

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    1. Wow, das klingt wirklich sehr beeindruckend! Toll, dass diese bildreiche Methode in der Klinik gut geklappt hat. Trotzdem hoffe ich, dass du es schaffen wirst, auch hier deinen einen Spalt zu deinem inneren Garten öffnen wirst. Das Umfeld beeinflusst das Gemüt sehr stark und obwohl es leicht gesagt ist, rate ich dir, dich von so vielen Dingen zu entfernen, die dir nicht gut tun.

      Alles liebe und schöne Grüße!!

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