In Kontakt mit dem Körper treten – Gastbeitrag von Dorothea Ristau

In Kontakt mit dem Körper treten – wie soll das gehen? Die liebe Dorothea von dem Portal essmo: Wege aus der Essstörung erklärt euch im heutigen Gastbeitrag, wie sie nach der Essstörung wieder Zugang zu ihrem Körper gefunden hat.

In Kontakt mit dem Körper treten – Gastbeitrag von Dorothea Ristau

Wenn ich an die Zeit meiner Magersucht zurück denke, frage ich mich manchmal, wie ich mich von meinem Körper so weit entfernen konnte. Damals habe ich mich in den Schaufenstern betrachtet und war stolz auf meine dünne Figur. Wie sehr mein Körper hungerte, wie schnell er fror und wie oft er müde war, spürte ich nicht.

Es ist ein bekanntes Phänomen, dass durch eine Essstörung die Körperwahrnehmung verloren geht. Frauen wie wir sind also eingeladen, sich mit dem eigenen Körper auseinander zu setzen.

Doch wie stehen überhaupt die Chancen, mit dem Körper in Kontakt zu kommen und ein gutes Verhältnis zu ihm zu entwickeln?

Mehr Selbstliebe für den Körper

Auf meinem ganz persönlichen Weg aus der Essstörung ging diese Entwicklung etappenweise voran:

Es war ein entscheidender Moment während meiner Magersucht, als ich eines Tages vor den Spiegel trat und meinen Körper zum ersten Mal wirklich sah. Vollkommen geschockt erkannte ich, wie sehr er litt und wie sehr er sich nach meiner fürsorglichen Zuwendung sehnte. Mir wurde bewusst, dass ich nicht weiter gegen meinen Körper kämpfen sollte, sondern dass es an der Zeit war, mit ihm in einen liebevollen Kontakt zu treten. Ein Wendepunkt, von dem an ich – trotz aller Angst – nicht mehr abnehmen, sondern zunehmen wollte.

Ein weiteres, wichtiges Zwischenziel auf dem Weg zu mehr Selbstliebe für meinen Körper war mit dem Ende meiner Essstörung erreicht. Lange hatte ich daran gearbeitet, unangenehme Gefühle nicht mehr über Essen oder Nichtessen zu regulieren, sondern einen konstruktiven Umgang mit ihnen zu erlernen. Nach einem langen, anstrengenden und oftmals sehr herausfordernden Weg entkoppelte ich irgendwann den emotionalen vom körperlichen Hunger. Von da an nahm ich Signale von Hunger und Sättigung sehr genau wahr und es war der Moment, in dem ich die Essstörung loslassen konnte, da ich sie nicht mehr brauchte.

Doch auch wenn ich zum damaligen Zeitpunkt im September 2009 schon unvorstellbar weit auf meinem Weg voran gekommen war, so ahnte ich nicht, wie viel Sensibilität für meinen Körper noch auf mich wartete.

Noch mehr Verbundenheit zum Körper

Einige Jahre später befreite ich Schritt für Schritt meinen Körper von altem Ballast. Denn es ist so, dass unsere Körper all das Belastende, was wir während unseres Lebens erlebt haben und was wir – aus welchen Gründen auch immer – nicht verarbeiten konnten, in sich aufnehmen und an irgendeiner Stelle „ablegen“.

Das können Gefühle wie Angst, Wut oder Trauer sein, die in vielen kleinen Situationen der Kindheit entstanden sind, die damals aber nicht gefühlt wurden. Es können Erfahrungen sein, die für unsere damaligen Bewältigungsstrategien zu viel waren. Oder Ereignisse, die wir als traumatisch erlebt haben.

Indem unsere Körper solche unangenehmen Erfahrungen speichern, ermöglichen sie uns, unser Leben dennoch weiter zu meistern, da die Erlebnisse erst einmal wie „weggeräumt“ sind. Doch dieses Ablegen von Erfahrungen hat einen großen Nachteil: Unsere Körper werden immer tauber und wir nehmen immer weniger von ihnen wahr.

Da aber jeder Körper von sich aus ein Interesse daran hat, alte, belastende Erfahrungen wieder loszuwerden, war es auch bei mir irgendwann soweit, dass sich die alten Ereignisse aus meinem System lösen wollten. Es war eine Zeit, in der ich unendlich viele nicht geweinte Kindertränen nachträglich weinte und mit jeder geweinten Träne wurde es ein Stück leichter.

Parallel dazu wurde ganz unbemerkt meine Körperwahrnehmung immer feiner und heute spüre ich jeden Bereich meines Körpers genau. Ich nehme wahr, wie es ihm geht und was er gerade braucht. Inzwischen mag ich ihn, sorge gut für ihn und bin wirklich, wirklich dankbar, dass ich ihn habe. Dass all dies möglich ist, hätte ich mir während meiner Magersucht nicht träumen lassen.

Nehmen wir die Essstörung also als Chance, um mit unseren Körpern in Kontakt zu kommen und ein liebevolles Verhältnis zu ihnen zu entwickeln. Der Weg lohnt sich!

Wenn auch du über deinen Körper arbeiten und diesen Weg nicht alleine gehen möchtest, so bist du herzlich eingeladen, dich auf essmo: Wege aus der Essstörung zusammen mit vielen anderen Weggefährtinnen auf die Pfade der Selbsthilfe zu begeben und dich dort berühren zu lassen.

Weitere Inspirationen zum Kontakt mit dem Körper bekommst du außerdem in diesem Video, in dem Mia auf wundervolle Weise von ihren Erfahrungen berichtet:

Vielen Dank, liebe Dorothea, für das Teilen deiner wertvollen Erfahrung. Und danke auch für das tolle Interview! ❤

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