Mein starker Mitteilungsdrang – ein stiller Hilferuf aus meiner Jugend

Ich dachte immer, dass ich als Kind nie über meine Probleme sprach, weil ich zu verschlossen war. Wenn ich an meine Kindheit und Jugend denke, dann daran, dass ich mich anderen nie geöffnet habe. Aber neulich wurde mir klar, dass ich es auf eine andere Weise trotzdem versucht habe.

Es begann mit einem vergessenen Ordner in einem alten USB Stick. Ich fand dort gespeicherte Chats bei MSN. Die jüngere Generation kennt diese Plattform vermutlich gar nicht, aber damals mit 13, 14 war das mein „Whatsapp“. Jedenfalls las ich mir verschiedene Chats durch und bekam gelegentlich ein Fremdschämen über mich selbst, weil ich mit 13 ein bisschen peinlich war. In den Chats schrieben wir über dies und das. Und zwischen den Zeilen las ich etwas, das mich etwas stutzig machte.

Ein Hilferuf

Es handelte sich um einen Chat zwischen mir und einem Freund aus meiner Klasse. ICh war 16 und erzählte ihm vom Fasten und wie anstrengend es war. Ich beschrieb die Härte, bei der Hitze nichts essen und trinken zu können und ließ ihn ohne es direkt auszusprechen wissen, dass ich keine andere Wahl hatte. Aus heutiger Zeit kann ich sagen, dass ich Mitleid dafür wollte, weil ich den ganzen Tag hungerte (im übrigen nehme ich nicht mehr am Ramadan teil, wenn euch das interessiert, könnt ihr das hier unter Der Ramadan und Essstörungen – ein kleiner Einblick in die Problematik von esskranken MuslimInnen nachlesen).

Ich erzählte ihm außerdem von meiner Familie und riss grob an, dass ich in einem konservativen Haushalt lebte. Ich erzählte ihm, dass er mich nicht kannte und speiste ihn ständig mit „ach egal“ ab, wenn er nachfragte. Unsere Gespräche endeten wie ein Cliffhanger einer spannenden Serie.

Will da jemand unbedingt Aufmerksamkeit?

Wäre es eine andere Person als ich gewesen, die diese Chats verfasst hätte, wäre mein erster Gedanke gewesen, dass dieses Mädchen ein Aufmerksamkeitsproblem hatte und unbedingt jemanden zum Reden brauchte. Und  obwohl das negativ klingt, stimmt es eigentlich. Ich sprach nicht über meinen psychischen Ballast, obwohl ich es wollte. Ich wollte für jemand anderen wichtig sein. Ich wollte, dass sich jemand um mich sorgt.

Starker Mitteilungsdrang

Natürlich hatte ich ein Ventil. Ich habe mich seid meinem zehnten Lebensjahr überwiegend meinem Tagebuch anvertraut. Es dürfte sich von selbst erklären, dass jene Bücher einen sehr düsteren Beigeschmack haben, weil ich meistens darin schrieb, wenn ich meine negativen Gedanken mit jemandem teilen musste. Mit mir.

Ich weiß jetzt, dass ich schon damals mit jemandem reden und alles erzählen wollte. Warum ich es nicht tat, liegt vermutlich an meiner „wir erzählen niemandem, was in diesem Haus passiert“- Erziehung. Ich versuchte es also auf eine passive Weise. Und wenn die Menschen nachfragten, gab es mir irgendwas. Vielleicht das Gefühl, existent zu sein…

Seid aufmerksam!

Mir ist klar geworden, dass auch ich dein ein oder anderen Hilferuf übersehen habe. Im Nachhinein betrachtet hat meine Arbeitskollegin, die ständig über ihre Familie Witze reißt, sich auf ihre Art und Weise versucht zu öffnen. Es tut mir leid, dass ich es nicht vorher gemerkt hatte, und das obwohl es eigentlich so offensichtlich war.

Seid also aufmerksam! Dieser Appell richtet sich nicht ausschließlich an Menschen, die mit Kindern/ Jugendlichen zu tun haben, sondern an alle. Es gibt so viele, die einen starken Mitteilungsdrang haben und zwischen ihren Worten einen Hilferuf aussprechen.

Habt ihr ähnliche Erfahrungen gemacht? Kennt ihr auch Menschen, bei denen ihr anfangs gleich denkt, dass sie Aufmerksamkeit wollen?

Habt einen schönen Feiertag! ♥

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

6 Kommentare zu „Mein starker Mitteilungsdrang – ein stiller Hilferuf aus meiner Jugend

  1. Wie spannend, seine eigenen Gespräche von früher zu lesen! MSN kenn ich auch noch. 😂😄 (Davor war übrigens noch ICQ 😁). Gleichzeitig ist es natürlich auch ein wenig erschreckend, weil man sich selbst in dieser Situation sieht und merkt, dass man früher Hilfe gebraucht hat. Also du hast vollkommen recht meiner Meinung nach, wir sollte aufmerksamer sein, was solche Hilferufe angeht. Ich finde es selbst schwer, mich zu öffnen und von mir selbst etwas preiszugeben, aber Kommunikation ist wirklich der Schlüssel oder zumindest die Basis zur Heilung… es kann schließlich auch niemand erraten, was in einem vor sich geht:

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    1. Danke für deinen liebeen Kommentar! Ja, Kommunikation ist allemal wichtig, aber auch aufmerksam zu sein…Und vielleicht auch nicht sofort zu verurteilen, wenn jemand ein „aufmerksamkeitsproblem“ hat, sondern eher nach dem „warum“ fragen.

      Liebe Grüße!! 🙂

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  2. Ich würde mich gar nicht trauen meine alten Chats zu lesen, bei mir dürfte es aber ähnlich gewesen sein. Teilweise ist es sogar noch heute so. Auf schriftlichem weg sende ich Hilferufe, aber die werden selten gehört. Von den anderen nicht und andersrum wohl auch selten von mir. Gut, dass du darauf aufmerksam machst 🙂

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