Neulich habe ich ein altes Tagebuch gefunden, in dem ich beim Umblättern auf meine damaligen Vorsätze stieß. Ich befand mich in der Hochphase meiner Essstörung und wollte unbedingt gesund werden – nicht jedoch, ohne weiterhin krank zu bleiben.
Tagebücher sind doch was Schönes, oder? Ich meine das völlig ernst – ich bin froh, dass ich zahlreiche Momente, Gedanken und Gefühle festgehalten habe. Natürlich sind sie gelegentlich auch purer Cringe (besonders die aus der Pubertät) aber hey – das war mal ich, die das alles geschrieben hat!
Mein Tagebuch aus dem Jahr 2015 hat es aber gewaltig in sich. Denn neben Liebeskummer und dem zweiten Semester in der Uni war das Jahr auch die Hochphase meiner Essstörung. Ich wusste, dass ich krank war und wollte zum Ende des Jahres hin auch gesund werden. Das dachte ich zumindest selbst…
Seht selbst:
Meine Vorsätze für das Jahr 2016
- gesund werden (Therapie anfangen)
- 5 kg abnehmen
- auf das Gewicht scheißen
- neuen Job (450€) suchen
- ausziehen…!
- gesünder leben
- mehr Sport treiben
- reisen!!
Meine Vorsätze fürs Jahr 2016 waren der reinste Widerspruch in sich!
Ich wollte gesund werden, aber zugleich 5 Kilo abnehmen. Ich wollte aufs Gewicht „scheißen“, aber gesünder leben und noch dazu noch mehr Sport treiben! Ja, ich hatte bereits den Willen, gesund zu werden. Ich war sogar bereit, eine Therapie zu machen. Ich wusste, dass ich ein Problem hatte, doch ich wusste noch nicht, was es bedeutete.
Man kann nicht gesund und krank sein.
Entweder man ist krank, oder man ist gesund. Beides beinhalten unschöne Konsequenzen und es obliegt einem selbst, zu entscheiden, für welche Seite man sich entscheidet.
Gesund zu werden bedeutet die Essstörung loszulassen.
Hängt man noch zu sehr an ihr, (zum Beispiel mit dem Sportdrang, Zwang zur gesunden Ernährung oder Aufrechterhalten des Gewichts) steckt man nach wie vor zu sehr drin. Für die Heilung ist es wichtig, sie vollständig gehen zu lassen. Ich glaube, dass dieser Schritt sogar der Schwerste ist. Aber ohne ihn geht es nicht.
Wir können nicht gesund sein, und weiterhin darauf bedacht sein, die Essstörung auszuleben. Wir können kein Essen genießen, wenn wir zu stark darauf achten, was wir essen. Wir können uns nicht wohl in unserem Körper fühlen, wenn wir ihn gleichzeitig die ganze Zeit ändern wollen.
Das Leben bietet mehr als die Essstörung.
Ich gebe zu, dass ich manchmal meine Essstörung vermisse. Ich vermisse mein altes Gewicht und die Obsession zum Essen. Manchmal vermisse ich sogar die Essanfälle, in denen ich auf ganz leichte Weise ausbrechen konnte. Klingt krank, ich weiß. Aber das Essen war eben meine Droge. Sie war meine Betäubung, mein „Kick“, einfach alles.
Das Leben jenseits der Essstörung ist so viel schöner und bunter.
Ich lebe wieder! Ich werde nicht von Zwängen kontrolliert. Ich esse und GENIEßE. Ich bin glücklich. Mit der Essstörung strebte ich stets das Glück an, doch ich erreichte es erst, als ich ihr den Rücken kehrte.
Kennt ihr das Pradoxon? Gesund und krank sein zu wollen?
PS.: Mein Buch „Zwischen meinen Worten“ ist jetzt erhältlich.
Ja, ich kenne das!
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Ambivalenzen bezüglich der Essstörung kenne ich von mir selbst, allerdings wollte ich nie gesund werden. Das war nie mein Ziel. Deshalb, weil die Definition von gesund in den Augen von Ärzten, ehemaligen Essgestörten etc. nie mit dem, was ich unter einem gesunden Dasein für mich verbinde, übereingestimmt hat.
Gesund zu sein, so wie Ärzte etc. das vorgeben, wäre insofern nur eine andere Form der Selbstbeschränkung und Selbstsabotage gewesen, mit der ich ganz sicher nicht glücklich geworden wäre.
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Danke für deinen ehrlichen Kommentar! Auch das ist natürlich sehr ambivalent!
Liebe Grüße!
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