„Hast du mal Rassismus erlebt?“

Wann ist es eigentlich normal geworden, jemanden während des Smalltalks über sein Trauma auszufragen?  Oh, das war es ja schon immer, zumindest, was Rassismus angeht … In diesem Beitrag geht es um die berühmte und äußerst problematische Frage: „Hast du mal Rassismus erlebt?“

Vermutlich hat jede Person mit einem optisch sichtbaren Migrationshintergrund diese Frage schon mal gehört. Die Intention ist oft nicht böse, sondern eher neugierig oder vielleicht auch entsetzt. Nach dem Motto: Was?! Das gibt’s heutzutage noch?

Viele Menschen denken bei rassistischen Taten gleich an Extreme. Körperliche Gewalt oder fiese Beleidigungen. Der Rest, z.B. „positiver Rassismus“, fällt meist unter den Radar. Dabei ist dieser nicht weniger traumatisch. Und hierzu zählt auch die Frage „Hast du mal Rassismus erlebt?“

In den letzten Wochen wurde mir diese Frage drei Mal gestellt. Drei Male, bei denen ich jedes Mal etwas unterkühlt sagte: „Ich werde diese Frage nicht beantworten.“

Einer der dreien entschuldigte sich sofort und gab zu, dass die Frage total dumm war. Die anderen beiden waren ziemlich überrumpelt und trauten sich nicht mehr, weiter zu fragen.

Ein Schwarzer Freund von mir, der bei einer der Situationen ebenfalls anwesend war, erklärte der Person später, warum ich so „spitz“ auf diese Frage reagiert hatte. Ich fand es toll, dass er sich die extra Mühe gemacht hatte, sagte aber auch, dass ich das mittlerweile nicht mehr tue. Bei all dem unterschwelligen Rassismus, den ich beinahe täglich erlebe, habe ich keine Kraft mehr, die Bildungsarbeit für andere zu erledigen. (Und davon habe ich auch nichts – die andere Person aber schon).

Aber nun zur Auflösung:

Warum ist die Frage „Hast du mal Rassismus erlebt?“ so problematisch?

Weil die Antwort ja lautet. Ja. Jede POC- Person erlebt in ihrem Leben Rassismus. Einige mehr, andere weniger. Vielen fällt der Rassismus aus dem Umfeld gar nicht mehr auf, weil er so „vertraut“ ist. Eine Frage gestellt zu bekommen, deren Antwort bei näherem Betrachten so offensichtlich ist, hört man eben nicht gern. Es ist aber nicht nur das.

Rassismus ist Trauma.

Und ich glaube, das vergessen viele. Würdet ihr jemals jemanden, von dem ihr wisst, dass die Person Missbrauch erlebt hat, bei einer Party einfach so drauf ansprechen? Vermutlich nicht, denn ihr wollt die Person weder verletzen noch triggern.

Und genauso ist es mit Rassismus. Für mich ist er pures Trauma. Die meiste Zeit meines Lebens habe ich meinen braunen Körper verachtet und mich immer Weißen Menschen untergeordnet. In jedem Kontext meines Lebens – ob es nun bei der Arbeit, beim Daten oder bei der Wohnungssuche ist – habe ich (noch) immer Angst, aufgrund meiner „Ausländerkeit“ abgelehnt zu werden. Und dann natürlich die Moskitostiche, wenn ich einen ganz kleinen rassistischen Hieb bekomme („Du hast voll den komischen Namen“, „Ha – klar, dass DU auf HipHop stehst!“) die mich jedes Mal kurz piksen, aber in der Gesamtsumme schmerzen wie Feuer.

Falls euch die Frage also jemals von den Lippen gerutscht ist, dann wisst ihr jetzt, warum diese Frage problematisch ist.

Ich an eurer Stelle würde sie daher gar nicht erst stellen, weil ihr euch sicher sein könnt, dass die Antwort Ja lauten wird.

Und an alle, die jetzt vielleicht denken, dass ich nur übersensibel bin und deren Schwarze Bekannte viel lockerer ist und noch nie ein Problem mit dieser Frage hatte: Nein. Ich bin nicht übersensibel, sondern traumatisiert. Einige von uns (vor allem die ältere Generation) tragen noch ganz unterschwellig kolonial geprägte Gedanken in uns, in denen Schwarze Menschen entmenschlicht und wie Maschinen ohne Gefühle oder Schmerzempfinden behandelt wurden.

Aber Spoiler Alert: Sie sind Menschen. Und sie haben Gefühle. Und sehr viel Schmerz in ihrem Körper.

Übrigens: Falls euer Gegenüber euch auf rassistische Inhalte hinweist, dann fände ich es schön, wenn ihr euch einfach entschuldigt, anstatt mit der Person zu diskutieren. Rassismus ist nämlich keine Meinung, über die man debattieren kann.

Eine letzte Sache noch:

Es kommt immer auf den Kontext an.

Das bedeutet, dass ihr diese Frage oder eine dieser Art durchaus stellen könnt, wenn die Situation es erlaubt. Ich bin zum Beispiel jemand, der gerne gefragt wird, als von sich selbst aus zu reden. Aber nicht auf einer Party inmitten aller Leute oder beim Kennenlernsmalltalk. Wisst ihr, was ich meine?

Lasst uns aufeinander acht geben und lieb zu einander sein! ❤

Mehr zu dem Thema findet ihr hier:

Die Sache mit den rassistischen Witzen…

Bitte nennt uns nicht mehr „Farbige“!

Reden wie ein „Proll“ – Ist das schon Rassismus?

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2 Kommentare zu „„Hast du mal Rassismus erlebt?“

  1. Ich kann mir vorstellen, dass es Dir nicht leicht gefallen ist, Dich zum hundertsten Male zu diesem Thema zu äußern. Es ist keine Frage von Geduld, das immer und immer wieder zu tun oder eben auch irgendwann nicht mehr.

    Aber Dein Text, Deine Gedanken, sind so wichtig.

    Nichts ist schwieriger, anstrengender und fordernder, als Menschen aus fest gefasstem Denken und Handeln zu holen. So oft sieht man gar kein Fortkommen, kein Ergebnis.

    Sehr schön und vor allem berechtigt, ja notwendig, finde ich Deinen Hinweis, auf den Kontext, in dem es möglich, weil rücksichts- und respektvoll ist, Dir und allen POC bestimmte Fragen zu stellen.

    Ich weiß, dass ich mit Dir über ALLES reden kann, dass Du für alles offen bist, ein Ohr hast und Dich vor der schwierigsten Frage und Meinung nie wegduckst.

    Es ist wichtig, dass Du Dich schützt.

    Viele ganz liebe Grüße an Dich! 💖🕊

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