Das mit Abstand Wichtigste beim Bekämpfen einer Essstörung ist immer dran zu bleiben. Egal, wie müde man ist, egal, wie oft man scheitert. Mit dem Willen und die Kraft kann man den Kampf besiegen.
Klar, das ist leicht gesagt, denn sobald man in eine depressive Phase rutscht, ist es unglaublich schwer, wieder Mut zu fassen. Aber dass man nicht stark genug ist, um alleine hoch zu kommen, heißt nicht, dass man auch schwach ist. Schwach ist hier niemand. Jeder schafft es auf seine Weise.
Es geht hier allerdings nicht um einen Vergleich. Es geht auch nicht um gewinnen oder verlieren. Sondern schlicht und einfach darum, wieder gesund zu werden. Denn nur wer gesund ist, kann ein richtiges Leben führen.
Das Leben mit einer Essstörung gab mir viel und nahm mir noch mehr. Meine Wahrnehmung verzerrte sich, sodass ich den Sinn meiner Gedanken und Taten nicht mehr reflektieren konnte.
- Warum bin ich heute traurig, weil die Waage mehr Gramm als gestern anzeigt?
- Warum bin ich enttäuscht von mir, weil ich zwei Schokocroissaints zum Frühstück hatte?
- Warum könnte ich heulen, weil ich nicht mehr in meine Lieblingshose passe?
Und dann frage ich mich, was wäre, wenn nichts davon passierte?
- Was, wenn ich noch genauso viel wiege wie am Vortag? Ich wäre sicherlich enttäuscht, weil ich doch gestern so wenig gegessen und so viel Sport gemacht hätte.
- Was, wenn ich keine Schokocroissaints zum Frühstück esse? Ich wäre traurig, weil ich mir alles verkneifen muss und es nicht essen kann, ohne ein schlechtes Gewissen zu bekommen.
- Was, wenn ich doch noch in meine Lieblingshose passe? Ich wäre frustriert, weil sich nie etwas an meinem Gewicht ändert, obwohl ich mich so bemühe.
Wie ihr seht, konnte man es mir innerhalb einer Essstörung nicht recht machen. Änderte sich etwas, war ich enttäuscht. Ändert sich nichts, war ich trotzdem enttäuscht. Und sobald ich mein Ziel erreichte, war ich nicht lange von Frohsinn gestimmt und wollte noch mehr.
So in etwa bin ich von Anorexie in Binge-Eating und später Bulimie gerutscht. Als sich nichts änderte, staute sich zunehmende Frustration in mir aus, die in mir den zerstörerischen Gedanken zuließ, nichts erreichen zu können. Ich dachte an all die Male, in denen ich versagte: als ich sitzen blieb, als ich die Schule wechseln musste, als ich keinen Anschluss in der neuen Klasse fand, als ich ein mittelmäßiges Abitur bekam, als ich eine simple Prüfung in meinem Studium nicht bestand.
Und als mein Freund die Beziehung mit mir beendete, konnte ich ihn auch noch auf die Liste setzen. Ich versagte dabei, einen Menschen in meinem Leben zu halten. Ich versagte dabei, geliebt zu werden.
Das ist ein typisches Beispiel dafür, wie sehr ich mich reinsteigerte, wenn eine unangenehme Veränderung in meinem Körper vorkam. Jedes „Versager“-Gefühl kam wieder hoch. Und diese Gedanken verdeutlichen, dass der Hungerfrust viel tiefer sitzt und auf unterbewusste Ereignisse zurückzuführen ist.
Heute weiß ich, dass es Blödsinn ist, so einseitig zu denken, da ich alle positiven Gedanken ausklammerte. Wie als ich die Schule wechselte und ich so endlich den Start hatte, von Neuem zu beginnen. Als ich lernte, auf die Menschen zuzugehen und so endlich meine Schüchternheit bekämpfte. Als ich mein Abitur schaffte und an meiner Favoriten-Universität angenommen wurde. Als 80% des Seminars die Vorlesung nicht bestand und ich nicht die Einzige war.
Und als ich tatsächlich mit dem schönsten Jungen aus der Schule zusammenkam und später eigentlich auch die Beziehung beenden wollte, aber nicht konnte, weil ich keinem Menschen das Herz brechen wollte.
Deshalb ist es immer wichtig, an das Positive zu denken. Denn obwohl das negative Gefühl immer intensiver ist, darf ist nicht den Platz aller anderen Gefühle und Gedanken verjagen.
Dazu gehört in erster Linie der Wille, dem Teufelskreis herauskommen zu wollen.
Dazu gehört außerdem, optimistisch zu bleiben und optimistisch zu denken.
Und vor allem gehört dazu, sich zu verzeihen. Und zwar alles. Sei es die Tatsache, dass man einfach nicht abnimmt, oder wieder übergeben hat. Keine Enttäuschung, kein eigener Druck, nur positive Gedanken.
„Es ist okay. Morgen, versuchst du es eben wieder.“
Ich hoffe, dass dieser Beitrag über positive Gedanken letztendlich nicht zu traurig angehaucht war und die Nachricht vermittelt, die ich meine:
Immer dran bleiben. Egal, wie schwer es wird, am nächsten Tag kann man es wieder versuchen. ♥
Titelbild gefunden auf http://www.pexels.com
Liebe Mia,
ich bin total erstaunt, wie exakt Du diese Gefühle verschriftlichen konntest. Mir fällt’s immer total schwer, etwas so niederzuschreiben, wie ich mich tatsächlich auch fühle. Daher DANKE für diesen ehrlichen Beitrag. Ich finde mich in jeder Zeile wieder.
Was bei mir häufig ebenfalls depressive Gefühle auslöst, ist dieses „immer wieder versuchen“. Ich bemühe mich ehrlich, da optimistisch zu bleiben, aber es ist super-schwierig halbwegs positive Gedanken zu entwickeln. Heute habe ich nämlich so einen Tag. Gestern habe ich mich übergeben und deswegen fühle ich mich nicht ganz so besonders (körperlich und seelisch). Und irgendwo steckt im Hinterkopf wieder diese Angst und die Frage: „Kann ich heute kotzfrei bleiben?“
Ich wünsch Dir alles Gute & einen schönen Tag!
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Vielen, vielen Dank, das bedeutet mir wirklich sehr viel! ❤️ Es hat auch eine ganze Weile gedauert, bis ich diesen Gedankenweg verstanden bzw. mir eingestanden habe.
Ich verstehe auch sehr gut, wie du dich heute fühlst. Nach so etlichen Niederschlägen kann man manchmal einfach nicht mehr (körperlich und seelisch, wie du sagtest). Ich würde dir raten, dich heute negativen Einflüssen fern zu halten. Bleib nachsichtig und sei nicht zu streng zu dir selbst, denn nur du ganz allein wirst dein ganzes Leben immer an deiner Seite sein. Du allein verstehst dich am besten! Daher sei nicht böse oder enttäuscht, wenn es heute wieder nicht funktioniert. Aber optimistisch zu sein, ist der erste Schritt. Ohne Druck und ohne Verurteilung 🙂
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