Vor zwei Jahren schrieb ich einen Beitrag darüber, welche Nachteile es hat, mit einer Essstörung in der Gastronomie zu arbeiten. Jetzt, wo ich „gesünder“ bin, arbeite ich wieder dort und würde gern meine Erfahrungen früher vs. heute mit euch teilen.
Seit einigen Monaten arbeite ich wieder in der Gastronomie. Ich gebe zu, dass ich nach mehreren Jahren Pause anfangs etwas ängstlich gegenüber dieser Idee stand. Doch der nah gelegene Standort, das freundliche Team und das üppige Trinkgeld (:P) stimmten mich schließlich um. Und jetzt, wo ich mich in die Arbeit eingelebt habe, kann ich gut reflektieren, was sich in all den Jahren geändert hat.
1. Früher ging es nicht um die Arbeit, sondern nur um Essen.
Ich arbeitete zwar, doch in meinem Kopf war Essen. Ich starrte auf das Essen, ich roch das Essen, ich wollte essen. Gleichwohl wollte ich auch nicht essen, weil das Essen auf der Arbeit meine Routine brach, Angst vor Kalorien in mir auslöste und den schrecklichen Heißhunger entfachte. Die Arbeit mit Essen war Himmel und Hölle zugleich.
Heute geht es nur um die Arbeit.
Ich arbeite mit Essen, doch das Essen ist nur nebensächlich. Ich serviere es, ohne den Drang zu verspüren, das Gleiche zu essen. Ich betrachte es wie einen Stapel voll Akten, den ich an die Kunden weiterreiche.
2. Früher konnte ich nicht aufhören zu naschen.
Ständig war ich von Essen konfrontiert, noch dazu Essen, dass besonders teuer und besonders lecker war. Es gab Essen im Überfluss, zu dem ich regelrecht aufgefordert wurde, es mitzunehmen. Und genau das tat ich, besser gesagt tat es meine Essstörung. Wann immer ich mit Essen konfrontiert wurde, ergriff meine Essstörung von mir Besitz und zog mich ins „Verderben“ runter.
Heute lasse ich das Naschen ganz bleiben.
Ich gehe niemals ausgehungert zur Arbeit, sondern achte bewusst darauf, vorher etwas zu essen, damit ich auf der Arbeit gesättigt und gestärkt bin. Das Naschen reizt mich natürlich schon manchmal, aber ohne physischen Hunger lässt er sich besser kontrollieren. Ich nasche grundsätzlich nicht. Bei der Arbeit will ich arbeiten und nicht essen.
3. Früher hatte ich einen Essanfall nach dem anderen.
Obgleich ich mich bei der Arbeit zusammenreißen konnte, brach ich allerdings trotzdem aus, wenn ich allein war. Zu Hause aß ich all das, was ich mir verkniffen hatte. Es spielte keine Rollte, ob ich überhaupt hungrig war, ich aß einfach nur.
Heute habe ich keinen Essanfall, der mit der Arbeit zusammenhängt.
Nach der Arbeit komme ich müde nach Hause und esse was. Noch nie hatte ich nach der Arbeit einen Essanfall, der mit der Arbeit zusammenhing. Dass ich die Arbeit nicht als Zwang sah, löste dafür keinen Zwang in mir aus. Die Arbeit ist die Arbeit und kein Trigger.
4. Früher hatte ich große Angst vor Essen.
Die Angst war so manifest, dass mich das Essen in meinen Träumen verfolgte. Ich träumte von der Arbeit und gigantischen Essanfällen. Ich fürchtete mich davor, vor Kollegen meine Essstörung zu offenbaren. Ich hatte eine solche Sehnsucht, aber auch gigantische Angst vor Essen.
Heute habe ich nach wie vor etwas Angst vor Essen.
Ich gebe zu, dass sich nicht alles zum Positiven geändert hat. Es klingt zwar seltsam, aber ich habe nach wie vor großen Respekt, ja schon fast Angst vor dem Essen. Ich halte das Essen daher nicht länger als nötig in den Händen und vermeide weitestgehend den Augenkontakt. Ich ertrage die Arbeit mit Essen, aber es ist wie ein gefährlichen Reptil, dem ich nicht näher als erlaubt, kommen will. Diese Tatsache zeigt mir, dass ich nach wie vor einen Weg vor mir habe.
Dennoch kann ich nicht leugnen, dass sich vieles zum Positiven geändert hat. Diese Erkenntnis macht mich stolz und bestärkt mich darin, weiterzumachen bei meiner Recovery nicht aufzugeben. Der Weg ist lang, doch am Ende kommt das Ziel! ♥
Habt ihr Erfahrungen mit der Arbeit in der Gastronomie? Wie fühlt ihr euch, wenn ihr während der Arbeit von Essen umgeben seid?
Brauchbare Erfahrungen kann ich nicht beisteuern, liebe Mia, aber wenn ich deinen Eintrag so lese, dann gibst Du damit ganz viele Erfahrungen weiter.
Abgesehen davon finde ich es ganz wundervoll, wie Du Deinen Weg bis hierher reflektierst und wie es Dir gelingt, Deine Ist-Position zu bestimmen und einzuschätzen. – Eine Essstörung in der Weise zu beherrschen (das schreibe ich ganz bewusst so), ist, glaube ich, eine ganz große Leistung. – Ich bin jedesmal wieder beeindruckt, wenn ich das bemerke. Und bei Dir bemerke ich das oft und ich möchte Dir jedesmal wieder von Herzen gratulieren!
Sehr liebe, sternflüsternde Grüße an Dich! 💖
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Deine Worte rühren mich sehr, lieber sternfluesterer! Danke für dein so ehrliches Lob! ♥️
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