Intuitives Essen: Wie du es schaffst, mit dem Kalorienzählen aufzuhören – Gastbeitrag von Buntezebras

Intuitiv essen klingt zwar einfach, ist es manchmal aber gar nicht. Heute gebe ich das Wort an die liebe Saskia weiter. Sie hat selbst einen tollen Blog, der sich mit dem Thema Essstörung beschäftigt und heute einen wunderschönen Gastbeitrag geschrieben, in dem es um intuitive Ernährung geht und wie man es schaffen kann, mit dem Kalorienzählen aufzuhören.

Hey, schön, dass du hier bist und diese Zeilen liest. Mein Name ist Saskia, ich bin (fast) 24 Jahre alt und komme aus Stuttgart. Mein Leben fühlt sich inzwischen leicht, frei und friedlich an. Warum ich das erwähne? Weil es nicht immer so war. Mehr als 10 Jahre bestimmten Bulimie und Anorexie mein Denken, Handeln und Fühlen.
Heute bin ich hier, um DIR Mut zu machen. Um dir zu zeigen, dass es einen Weg aus der Essstörung gibt. Um dir von meinen Erfahrungen zu erzählen. In der Hoffnung, dass du daraus etwas mitnehmen kannst, sodass dieser schwere Weg etwas leichter für dich wird.

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Der Weg aus der Essstörung geht für die meisten von uns mit dem Wunsch einher, wieder intuitiv essen zu können. Intuitiv essen – das bedeutet Essen nach Bauchgefühl und Essen ohne Verbote. Damit das gelingt, ist es wichtig, die Bedürfnisse des Körpers einerseits wahrzunehmen, andererseits aber auch auf sie zu hören, sprich ihnen nachzugeben. Weil wir durch die Essstörung allerdings über Monate oder Jahre hinweg gegen unseren Körper gekämpft, all seine Bedürfnisse ignoriert und sogar missachtet haben, fällt uns das alles andere als leicht.

Als Kinder haben wir gegessen, wenn wir Hunger hatten und aufgehört, sobald wir satt waren. Es gab weder Verbote noch „gute“ oder „schlechte“ Lebensmittel. Das bedeutet, dass wir als Kinder ganz automatisch ein intuitives Essverhalten an den Tag gelegt haben. Im Laufe der Zeit und durch die Essstörung haben wir das intuitive Essen verlernt. Die gute Nachricht ist: Was wir verlernt haben, können wir wieder erlernen.

Um zu einem intuitiven Essverhalten zurückkehren zu können, ist es wichtig, im ersten Schritt mit dem Kalorienzählen aufzuhören.

Viele von uns haben eines Tages angefangen, ihr Essen über Apps zu tracken. Schon nach kurzer Zeit gehört das Tracken zum täglichen Leben. Es wird zur Gewohnheit, aus der wiederum schnell ein Zwang entsteht – jeder Tag wird bis ins kleinste Detail vorausgeplant, Gemüse wird gewogen, Obst halbiert, damit die Zahl auf der Küchenwaage und am Ende des Tages die Kalorienbilanz passt. Die Frage ist nicht länger „Was möchte ich essen?“, sondern „Was darf ich essen?“.

Auch auswärts essen wird zur Qual. Im Restaurant oder beim Familienessen kann man das Essen schließlich nicht abwiegen. Durch das Tracken geht demnach auch Lebensqualität verloren.

Alles unter Kontrolle?

Obwohl ich mich längst für die Heilung meiner Essstörung entschieden habe, habe ich weiter penibel Kalorien gezählt. Ich befand mich in einem Zwiespalt. Einerseits wünschte ich mir nichts sehnlicher, als vollständig zu heilen, weshalb ich mir mein Verhalten auch schönredete, und es rechtfertigte, indem ich behauptete, mein Essen aus nur einem Grund zu tracken: sicherstellen, dass ich ausreichend esse. Andererseits aber hielt ich nach wie vor an der Essstörung fest. Ich war nicht bereit, die Kontrolle über mich und meinen Körper vollständig abzugeben. Ich hatte Angst über die Stränge zu schlagen und innerhalb kürzester Zeit viel zu viel zuzunehmen. Der Trugschluss an der Essstörung und Verhaltensmustern, wie dem Kalorienzählen, ist, dass wir glauben, dadurch die Kontrolle zu behalten. Die Wahrheit ist, dass wir diese in der Regel längst verloren haben oder sie genau dadurch verlieren. Heilung wird möglich, wenn du die Kontrolle loslässt.

Wie schafft man es also, mit dem Tracken aufzuhören?

Wie bei allem stehen die Erkenntnis und der Wille am Anfang. Spür einmal in dich hinein und frage dich, wieso du am Kalorienzählen festhältst? Steckt auch bei dir der Wunsch nach Kontrolle und Sicherheit dahinter? Wenn ja, überlege dir, ob du die wirklich brauchst? Und was möglich wäre, wenn du keine Kalorien mehr zählst? Wäre es nicht schön, unbeschwert und spontan mit deinen Freunden essen gehen zu können? Oder die Zeit, die dich das Tracken kostet, für Dinge zu nutzen, die Freude in dein Leben bringen?

Mein Leidensdruck wurde irgendwann so groß, dass ich den Regeln meiner Essstörung keinen Tag länger folgen wollte. Ich war es leid, mich gefangen zu fühlen. Ich wollte endlich frei sein. Ich wollte essen, worauf ich Lust hatte und nicht mehr essen, was mein Kalorienzähler mir erlaubte. Die Angst vor einer möglichen Zunahme oder dem Kontrollverlust rückten in den Hintergrund. Von heute auf morgen habe ich meine Tracking-App letztendlich gelöscht und mit dem Kalorienzählen aufgehört .

Schritt für Schritt aus der Essstörung

Es kann durchaus sein, dass es dir leichter fällt, nicht so radikal, sondern schrittweise vorzugehen. So kannst du beispielsweise beginnen, Obst und Gemüse nicht mehr zu abzuwiegen. Später isst du dann einzelne Mahlzeiten, ganze Tage und letzten Endes dauerhaft nach Gefühl. Wichtig ist, dass du dich kontinuierlich weiter herausforderst und dir keine neue Komfortzone schaffst, in der du auf ewig verharrst.

Dem Hunger nachgeben

Grundvoraussetzung ist außerdem, dass du auch ohne deine Kalorien zu tracken weiterhin genügend isst. Verzichte auf keinen Fall absichtlich – nur um sicherzustellen, dass du nicht zunimmst. Es kann nämlich sein, dass dein Körper dir plötzlich Signale sendet. Weil du dir Pizza, Pasta, Schokolade und Co. lange Zeit verboten hast, zehrt sich dein Körper nun nach genau diesen Lebensmitteln . Dieses Phänomen ist als Extremhunger bekannt. Extremhunger ist absolut nicht ungewöhnlich und sogar ein wichtiger Teil deines Heilungswegs. Ich weiß, wie unglaublich beängstigend der Hunger sein kann. Du denkst, dass er niemals aufhört und du für immer zunehmen wirst. Das kann dazu führen, dass du mit dem Gedanken spielst, wieder in die Restriktion zu gehen.

Allerdings ist es wichtig zu verstehen, dass dein Körper so nie zurück zu seinem natürlichen Rhythmus kehren wird und du dadurch letztendlich im Kreislauf deiner Essstörung gefangen bleibst. Versuche deshalb dich nicht zu verurteilen, deinen Hunger verständnisvoll anzunehmen und ihm auch nachzugeben. Aus eigener Erfahrung kann ich dir versichern, dass dein Hunger und deine Gelüste nachlassen, wenn du aufhörst, das Essen als Feind zu betrachten und Lebensmittel in „gut“ und „schlecht“ zu kategorisieren. Eine Grundregel des intuitiven Essens lautet, dass du alles essen darfst, was du möchtest. Solange es keine Lebensmittel gibt, die du dir verbietest, können Schuldgefühle nach dem Essen gar nicht erst entstehen.

Nachsicht und Geduld mit sich selbst haben

Durch die Essstörung und das monate- oder jahrelange Tracken sind viele Nährwertangaben in unseren Köpfen gespeichert. Auch ohne die App wirst du dich immer wieder dabei erwischen, wie du die Kalorien deiner Mahlzeit überschlägst oder einzelne Lebensmittel gegeneinander abwägst. Lass dich davon weder beirren noch unterkriegen. Je weiter deine Essstörung in den Hintergrund rückt, desto eher verschwinden auch die Zahlen aus deinem Bewusstsein. Es entsteht Platz für Neues. Schönes. Gib dir einfach Zeit.

Mit dem Körper statt gegen ihn

Fang an mit deinem Körper zu arbeiten, statt gegen ihn. Sieh dich selbst als Forscher und sei neugierig, die Signale, die dein Körper dir sendet, zu erkunden. Lerne auf deine Hungersignale zu achten. Versuche auch während und nach dem Essen immer wieder für einen Moment innezuhalten und dich zu fragen, wie es dir schmeckt, wie satt du bereits bist und wie du dich fühlst. So wird dir das intuitive Essen viel leichter fallen. Bei all dem vergiss nicht, dass die Heilung der Essstörung ein Prozess ist. Dazu gehören große und kleine Erfolge, hin und wieder aber auch Rückschritte. Feier dich, weil du trotzdem mutig genug bist jeden Tag die Entscheidung für Heilung zu treffen. Feier dich, weil du DU bist.

Auf Mounias Blog über ein Thema zu sprechen, das mich selbst bis letztes Jahr beschäftigt hat, ist mir eine besondere Ehre. Mias Anker hat mich nicht nur darin bestärkt, mich für die Heilung meiner Essstörung zu entscheiden, sondern auch darin, meinen eigenen Weg zu teilen. Falls du also gerne mehr von mir lesen würdest, schau auf meinem Blog www.buntezebras.com vorbei. Dort erscheint jeden Dienstag ein neuer Beitrag rund um die Themen Essstörung, Heilungsweg und Kreativität.

Ich bin auch auf Instagram aktiv und freue mich, wenn wir uns connecten.
Lass uns die Welt gemeinsam ein bisschen bunter machen. ♡

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Alles Liebe,
deine Saskia

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