Der Weg der Recovery ist lang, steinig und manchmal auch ermüdend. Aber wenn ich Eines wirklich gelernt habe, dann, dass es wichtig ist, sich immer satt zu essen.
Vielleicht klingt diese Erkenntnis für Außenstehende etwas schräg, schließlich ist es das Normalste der Welt, zu essen bis man satt ist. Für Menschen mit einer Essstörung ist das allerdings ein schweres Unterfangen. Natürlich geht es bei einer ES nicht wirklich um Essen, aber ihre Symptome wirken sich in allem rund um Essen aus. Über Essen nachdenken, durch Einkaufsläden streifen, Essen kaufen, Essen kochen, Kalorien zählen usw.
Bei fast allen Essstörungsformen wird Essen oft aufgerechnet. Beispielsweise versuchen Betroffene nach einem großen Essanfall am nächsten Tag weniger zu essen, um das Essen vom gestrigen Tag auszugleichen. Dass ich das Aufrechnen fatal finde, habe in diesem Beitrag schonmal erläutert. Der menschliche Körper funktioniert so nämlich nicht. Er braucht jeden Tag Nahrung, um genug Energie zu haben. Und vor allem braucht er ausreichend Nahrung.
Die falsche Herangehensweise in der Recovery
Am Anfang meiner Recovery habe ich zwei zentrale Fehler gemacht.
1. habe ich hauptsächlich kalorienarme Nahrung zu mir genommen und Fear Food weiterhin gemieden.
2. habe ich mich nie sattgegessen, weil ich immer Angst hatte, zu viel zu essen.
Aber indem ich meinem Körper nach wie vor verweigerte, was er brauchte, reagierte er mit starken Heißhungerattacken und Essanfällen. Am Ende aß ich also so viel mehr als ich ursprünglich geplant hatte. Und da ich mein Essen aufrechnete, versuchte ich am nächsten Tag automatisch weniger zu essen. Den Teufelskreis, der daraufhin entstand, muss ich nicht weiter erklären.
Heute weiß ich, dass ich nach wie vor noch stark an der Essstörung festhielt. Ich wollte gesund und krank zugleich sein. Ich wollte mein altes Leben zurück, aber übermäßig an Gewicht zulegen wollte ich auch nicht. Die Therapie half mir dabei, meine alten Glaubenssätze abzulegen und an meinem Selbstbild zu arbeiten. Trotzdem musste ich mich auch in der Praxis der Essstörung stellen. Ein Tipp half mir dabei besonders.
Iss dich satt.
Wenn ich mich wirklich satt aß, wollte ich danach nichts mehr. Das schlechte Gewissen war anfangs sehr groß, doch ich versuchte es auszuhalten und mit der Zeit wurde es immer leichter.
Außerdem suchte ich nicht länger nach Alternativen. Eine Pizza machte mich satt, ein Salat nicht. Auf diese Weise schlug ich zwei Fliegen mit einer Klappe. Ich stellte mich neuem Fear Food und aß, bis ich satt war.
Wann weiß ich, dass ich satt bin?
Schließlich ist bei Essstörungen der Hunger von seelischer Natur. Deshalb ist es so wichtig, ganz viel mentale Arbeit zu machen. Ohne sie geht es einfach nicht. Die inneren Wunden müssen heilen, damit das Ventil nicht länger im Essen gesucht wird.
Ein anderer Aspekt ist allerdings, dass viele Betroffene mit der Zeit das Sättigungsgefühl verlernt haben. Auch ich hatte das Problem und es hat wirklich gedauert, mein Sättigungsgefühl zurückzuerlangen. Mir half es, mich anfangs nach den Portionen anderer zu richten. Wenn ich danach noch immer nicht satt war, versuchte ich auch das auszuhalten. Es ist wie bei einem kalten Entzug – am Anfang ist es am schlimmsten, aber je mehr man reinkommt, desto leichter wird es.
Außerdem behebt sich das Problem, je mehr ihr in einen Einklang mit eurem Körper kommt. Wenn der Körper keine Anzeichen von Energielosigkeit aufweist (Kopfschmerzen, Schwindel, Hunger), dann braucht er vermutlich kein Essen mehr.
Esst euch also satt. Greift nicht länger nach den kalorienarmen Alternativen – diese werden euren seelischen Hunger nämlich nur anfachen. Traut euch an Gerichte, die euch anfangs vielleicht abschrecken. Die Kalorien einer Pizza mögen zwar höher sein als die eines Salats, aber sie sind immer noch geringer als die eines Essanfalls! 😉
Habt ihr Gedanken zu diesem Thema? Hilft es euch auch, euch satt zu essen?
Superguter Artikel und absolut wahr!
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Dankeschön 🙏🏾♥️
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Ich finde Dein Artikel richtig gut. Ich möchte allerdings noch etwas ergänzen. Wir Schlingen das Essen hinunter weil wir oft keine Zeit haben. Doch wenn wir anfangen das Essen zu genießen und wieder fähig sind den Geschmack zu analysieren. Wird uns das Essen auch besser schmecken und auch schneller Satt werden.
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Ja, das ist eine sehr wichtige Ergänzung! Wir müssen definitiv achtsamer essen! Liebe Grüße!
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Super Artikel der total hilfreich ist!! Danke dir 😘.
Was ich mich nur frage: du sagtest dass man sich zunächst an den Portionen von gesunden Essern orientieren kann und dann wenn man immer noch nicht satt ist, dies „aushalten soll“ – würdest du dem Extremhunger dann doch nicht bedingungslos nachgeben ?
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Danke für deinen Kommenar! Und es kommt darauf an. Reden wir hier von Extremhunger oder von Binge Eating? Beim Extremhunger isst du trotz allem sehr bewusst, weil der Körper förmlich darum lechzt. Bei Binge Eating weiß man oft gar nicht, was man isst – man ist fast wie im Rausch. Wichtig ist, sich überhaupt erst mal „satt“ zu essen und nicht auf Kalorien oder dergleichen achten sollte. Das mit dem „Aushalten“ ist etwas, das mir geholfen hat, als ich mein Sättigungsgefühl verloren hatte. Nach dem Essen einer gesunden Portion wusste ich zwar, dass mein Körper definitiv versorgt ist, aber durch das fehlende Sättigungsgefühl hatte ich trotzdem das Bedürfnis weiter zu essen. Deshalb habe ich es anfangs versucht „auszuhalten“ und mir nach der Portion nicht so lange nachzunehmen, bis mein Bauch voll ist!
Ich hoffe, dass das halbwegs verständlich war! 🙂
Liebe Grüße!
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